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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Tischdecke!«
    »Ich wollte Ihnen wirklich keine Mühe bereiten«, entschuldigte sich Loge.
    »An deiner Stelle würde ich das Zeug nicht essen«, flüsterte Wotan, als Waltraute den Raum verlassen hatte. »Keine meiner Töchter kann kochen, trotzdem hält sie nichts davon ab. Ich kann zwar kochen, darf aber nicht in die Küche. Schicksal.«
    Loge fragte sich verzweifelt, wie er sich unter diesen Umständen zu verhalten hatte, um weder den Donnergott noch dessen Töchter zu beleidigen. Er pickte etwas Rührei mit der Gabel auf, steckte sie sich aber nicht in den Mund.
    »Seit elf Jahrhunderten muß ich mir das gefallen lassen«, fuhr Wotan fort. »Ein paar Jahrhunderte noch, und ich drehe hier vollends durch.«
    »Die Raben haben Alberich und die Rheintöchter entdeckt«, setzte Loge ein viertes Mal an. »Sie halten sich in einem kleinen Ort in …«
    »Alles fing damit an, daß ihre Mutter mich verlassen hat«, unterbrach ihn Wotan. »Dabei war ich damals heilfroh, sie endlich von hinten zu sehen. Aber meine lieben Töchter, alle neun, meinten wohl, daß man sich um mich kümmern müsse. Natürlich wollten sie das in Wirklichkeit gar nicht. Viel lieber wollten sie selbst Karriere machen und ihre eigenen Wege gehen, vorzugsweise auf der anderen Hemisphäre.«
    Als wollte sie Wotans These beweisen, stürmte die Walküre Waltraute herein. »Du hast schon wieder das Brot aufgegessen, stimmt’s?« raunzte sie ihren Vater verbittert an.
    »Dazu ist es doch eigentlich da, oder?« verteidigte sich der Künder der höchsten Weisheit.
    »Du hast aber ein neues Brot angeschnitten, obwohl noch ein halbes im Kasten lag. Jetzt kann ich’s den Raben zum Fraß vorwerfen!«
    »Ein halbes Brot ist besser als gar kein Brot!« donnerte Wotan hinter ihr her, als sie wieder hinausstolzierte. Ein sinnloses Unterfangen. Der sieghafte Kämpfer und Gott der Schlachten schlug so fest mit der Faust auf den Tisch, daß die Kaffeekanne umkippte. Ein dunkelbrauner Fleck breitete sich auf der Tischdecke aus, und der Lenker von Kriegsgeschick und Todesschicksal wurde kreidebleich.
    »Du bist das gewesen!« befahl er Loge. »Wenn eine von denen fragt, dann bist du es gewesen. Schließlich muß ich hier leben.«
    Loge, der unter anderem den Titel ›Herr der Lügen‹ trug, war nicht sonderlich erpicht darauf, diese Unwahrheit auf sich zu nehmen, aber die Alternative dazu war, womöglich in eine Regentonne oder gar in einen Abwasserkanal verwandelt zu werden, und er nickte duckmäuserisch.
    »Und deshalb stecken wir alle in dieser heruntergekommenen besseren Scheune mitten im Niemandsland fest und treiben uns seit über tausend Jahren gegenseitig in den Wahnsinn«, stöhnte der König der Götter. »Zwar hassen sie diese Bleibe genauso wie ich, trotzdem werden die nie ein Bein vor die Tür kriegen.«
    »Wenigstens sind es nur noch acht«, bemerkte Loge. »Es muß ja noch viel schlimmer für dich gewesen sein, als Brünnhilde …« Loge verstummte schlagartig, aus Furcht, daß er durch seine Taktlosigkeit Wotans Zorn hervorgerufen haben könnte.
    Aber Wotan lachte nur. »Das kann man wohl sagen! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich war, als ich es endlich geschafft hatte, wenigstens eine von denen loszuwerden – und ohne Frage war Brünnhilde die schlimmste. Damals hatte ich noch gehofft, daß über kurz oder lang alle irgendwann aus dem Haus gehen würden und ich am Schluß mit Puschen im Speisesaal sitzen könnte. Brünnhilde, dieses alte Miststück, habe ich mit Siegfried dem Drachentöter zusammengebracht, dem fabelhaftesten Mann, der je gelebt hat. Und schau dir doch an, was sie ihm angetan hat!«
    Loge nickte verständnisvoll; Taktgefühl zu zeigen, war jetzt alles, was ihn vor einer Zukunft als Fischteich bewahren konnte.
    »Und vergiß nicht, Siegfried konnte sogar noch von Glück reden. Stell dir nur mal vor, was es für ihn bedeutet hätte, wenn er mit ihr verheiratet gewesen wäre. Nicht auszudenken! Eines Tages hätte er mir bestimmt einen Speer ins Kreuz gejagt.« Der Herr und Gebieter der Raben schüttelte betrübt den Kopf. »Natürlich geben sie mir die Schuld. Sie geben mir für alles die Schuld. Dabei sind sie die einzigen auf der ganzen Welt, die kein Recht dazu haben.«
    »Noch mal zu den Rheintöchtern«, schlug Loge vor.
    »Wenn du sie bittest, einmal im Leben etwas wirklich Sinnvolles zu tun, kriegst du ganzen Tag nur dumme Sprüche zu hören. Nein, meine Familie ist für mich eine einzige Plage, und ich bin für

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