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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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selber den Haken, sanft und unmerklich. Und ehe man es sich versah, zappelte man, daß es ein Erbarmen war. Merkte Gäntschow nichts davon? Wer war so weltfremd, daß er ein plötzlich auftauchendes Frühstücksei und eine sanft gestreifte Schulter nicht in den Ablauf von Ursache und Wirkung einzugliedern vermochte? Doch, das konnte er. Er grinste, aber manchmal klopfte auch sein Herz schneller, denn er war aus Fleisch gemacht, wie wir alle. Und eine junge, sich wölbende Brust bleibt eine junge, sich wölbende Brust. Aber er wollte nicht. Er wollte sich behalten. Er wollte erst einmal er selbst werden, ehe er sich hingab, und vielleicht war es sogar möglich, so sehr er selbst zu werden, daß man bei aller späteren Hingabe sich nie aufgab, hingab, in andere Hände gab.
    Ausgeklügelte Spitzfindigkeiten eines Pubertätsnarren? Nein, uraltes Bauerntum. Ererbter Instinkt von tausend Höfen, in denen man sich nicht an die Liebe verlieren darf, da man den Hof behalten muß. Die Liebe, Gott, mein Gott, die Liebe! Es gab genug anderes für einen heranwachsenden Menschen von siebzehn, achtzehn Jahren zu tun auf dieser blühenden Erde. Er war herausgerissen aus der heimatlichen Erde, sein Bruder Max hatte vielleicht schon längst mit irgendeinem Mädel ein Kind, und das bedeutete gar nichts. Aber Johannes lebte im fremden Land: Alles suchte ihn zu verändern. Also mußte er um so stärker auf sich beharren. Man konnte es alles auf einmal wegschieben und seine Ruhe und den festen Sitzplatz im Mittelpunkt der Welt behalten. Das war ganz einfach. Als er einmal nach Überstunden spät ins Haus gekommen war, als das Mädchen ihm noch sein Abendessen brachte, in einem Negligé, das fast nur noch ein Hemd war und immer weniger zu werden drohte, da konnte man die Augen einkneifen und plötzlich |270| in das verliebte, rotfleckige, zerfließende Gesicht hinein: Bäh! bäh! bäh! schreien, wie man Schafe erschreckt. Und dann schallend loslachen, in ihr Erschrecken hinein, bis sie fassungslos aus der Tür taumelte.
    Nein, nichts von Nebendingen. Weiterarbeiten. Gut weiterarbeiten. Und immer was gelernt, die beiden großen Waffen, mit denen man sich des Mitviehs erwehrt: das Auslachen und die rücksichtslose Gewalt. Die dritte, stärkste Waffe freilich sollte Gäntschow erst viel später kennenlernen, um das Jahr 1925 herum, und dann sollte sie gegen ihn ziemlich vernichtend angewandt werden, diese Waffe: das Geld. Ja, trotzdem er ein Bauernjunge war und darum wahrhaftig den Wert des Geldes kennengelernt hatte, Geld als Waffe, das lag ihm zu ferne. Das entstammte einer andern Denkwelt, darauf geriet er nicht, diese Waffe konnte er nicht benutzen. Geld war etwas Gutes, zweifelsohne, aber es schien ihm, als sei Bedürfnislosigkeit etwas noch viel Besseres. Weil er fast nichts brauchte, konnte er es zum Beispiel durchsetzen, daß er nicht bloß ein Jahr in dieses Ausbesserungswerk hineinroch, sondern daß er drei Jahre dort blieb und etwas Rechtes lernte. Damit begründete er es seinem Vater. Er wollte etwas Rechtes lernen, etwas Ganzes. Er war ein Viertel Bauernjunge gewesen, da war ein läppischer Streit mit dem Vater gekommen und hatte seine Nase in die Buchseiten gedrückt. Er war ein halber Gymnasiast geworden, da hatte ihn ein Abenteuer, in das er geraten war, es war fast nicht zu sagen wie, aufgehoben und in diese kleine Stadt gesetzt. Sollte er jetzt wieder nur ein Drittel Schlosser werden?
    Der Vater hatte ihm gegenüber in der Kammer gesessen, der eine auf dem Stuhl, der andere auf dem Bett, und er hatte den Sohn aufmerksam angesehen. Du willst doch nicht etwa Schlosser bleiben? hatte er gefragt.
    Nein, natürlich nicht, kein Gedanke daran, er wollte Ingenieur werden, Techniker, selbstverständlich. Aber vorher wollte er nun einmal dies werden, etwas lernen.
    Den Vater reuten die zwei Jahre, die Maschinenbauschule |271| verlangte nur ein Jahr Praxis, die zwei Jahre mehr würden ihm nicht angerechnet werden …
    Sie werden mir aber etwas nützen, erklärte der Sohn. Das verstehst du aber nicht, Vater. Das kann dir auch keiner erzählen. Aber
ich
weiß es.
    Der Vater wiegte den Kopf. In der unbeirrbaren Sicherheit war der Junge unverändert. Noch immer wußte er alles über sich, und was er tat, war unbedingt richtig – aber wie hatte er ausgelegt! Was für Schultern hatte er bekommen! Seine Hände waren Horn und seine Muskeln waren Stahl, der Vater war Händedrücke gewöhnt, aber das vorhin war ein Händedruck gewesen! Im

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