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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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anfangen. Ich möchte mal sehen, wie hier der Roggen steht.
    Sie sahen, wie hier der Roggen stand. Es kam sogar wieder eine richtige Unterhaltung zustande. Es ging immer weiter |274| voran auf Warder, und auch mit dem Sohn ging es voran. Jetzt hatte er erst einmal seine Lehrzeit vor sich, und dann würde er nach Stettin gehen, auf die Maschinenbauschule, und würde Ingenieur werden. Es ging alles glatt. Vater und Sohn trennten sich zufrieden.
    Und richtig. In Greifswald ging alles weiter gut. Der Sohn lebte sein vereinzeltes Leben und wurde ein tüchtiger Maschinenschlosser. Er bestand die Gesellenprüfung mit Glanz. Und dann war es soweit, und er zog nach Stettin.
    Er hat sich später oft gefragt, der Johannes Gäntschow, ob er die drei Jahre Lehrzeit in Greifswald wirklich darum abgemacht hat, weil er nun endlich einmal etwas
ganz
lernen wollte. Wir sind in so viele Hüllen eingepackt, die uns vor uns selbst verbergen, und manchmal muß man lange Jahre einfach warten, bis man seine nächste Hülle abstoßen kann. Greifswald war vielleicht doch nur Wartezeit gewesen. In Stettin zeigte es sich überraschend schnell, daß alles Unsinn gewesen war mit dem Ingenieurwerden. Und von da aus gesehen, war ja eigentlich auch die Maschinenschlosserei Unsinn gewesen.
    Die Maschinenbauschule war ein grau zementierter, mit häßlichen roten Backsteinen verzierter Kasten, der Zinnen mit spitzen, blauen Zuckerhüten hatte. Es roch darin nach Staub, Kalk, Ölfarbe, Bohnerwachs, nach feuchten, ungelüfteten Kleidern, nach Muff, Abort und Kreidestaub. Wenn die Öfen brannten, roch es dazu noch nach Schwefelwasserstoff. Der von einer hohen, roten Mauer eingefaßte Hof war mit Kies bestreut. In dem Kies standen in Abständen dürftige Akazien, ein aus dem Süden importierter Baum mit Dornen, dessen Holz zu nichts taugte. Gäntschow haßte alles. Von diesem unechten Baum an, vom Gefängnisgebäudekasten an bis zu den lauten, wichtigtuerischen Mitschülern und den überlegenen Lehrern. Er sprach mit keinem Menschen ein Wort. Seine Mitschüler übersah er. Wurde er etwas gefragt, so stand er geistesabwesend auf, sah den Lehrer an und antwortete irgend etwas, was ihm gerade in den Kopf |275| kam, sei es nun ein Schopenhauerzitat oder eine plattdeutsche Redensart. Er gab diese Taktik nicht etwa wegen der elf Vermahnungen auf, die er im ersten Vierteljahr erhielt, sondern darum, weil er merkte, er machte seinen Mitschülern einen unbändigen Spaß damit. Der Hansnarr dieser Flachköpfe zu werden, daran lag ihm nichts. Von da an gab er kurze, sachliche Antworten oder schwieg auch einfach, wenn er an anderes gedacht hatte.
    Die älteren Lehrer nahmen ihn im allgemeinen richtig. Eine lange Lehrtätigkeit hatte sie an mancherlei seltsame Gestalten gewöhnt, und der pommersche Dickschädel, der im Rüganer Dickschädel seinen Gipfel und seine Krönung hat, war ihnen nicht unbekannt. Aber die jungen Lehrer waren geneigt, diesen Fall als eine unverhüllte Achtungsverletzung anzusehen, und machten alle Anstrengungen, den Bengel zu Verstand zu bringen, wie sie es nannten.
    Es gab da vor allem einen Lehrer Liebenau, einen eleganten jungen Herrn mit schneidig imitiertem Leutnantston, der nicht müde wurde, die Festung zu berennen. Während er zuerst den Johannes Gäntschow für einen halb schwachsinnigen Dorftölpel angesehen hatte, entzündete sich an der abwesenden Ruhe Gäntschows allmählich sein Ehrgeiz. Er versuchte alle Töne, die ihm zur Verfügung standen, von der ernsten Ermahnung über ein kasernenhofmäßiges Anbrüllen bis zum kameradschaftlichen Zuspruch. Nur klangen leider alle diese Tonarten vollkommen falsch in Gäntschows Ohren, und er sah nun wieder seinerseits den Lehrer Liebenau mit seinen kalten, blauen Augen ein wenig spöttisch beobachtend an wie ein häßliches, kleines Tier, das sich spaßig krabbelnd abmüht. Es kam schließlich so weit, daß Herr Liebenau, der alles andere wie ein totes Einpaukgehirn war, jedesmal alle Selbstbeherrschung vor diesem Schüler verlor und nach den ersten drei Sätzen nur noch schreiend mit ihm sprach.
    Die Schüler folgten diesem Wettkampf mit schlecht unterdrückter Heiterkeit. Sie schlossen Wetten darauf ab, wer aus |276| diesem Kampf als Sieger hervorgehen werde. Leider wurde Herr Liebenau der Unterliegende, denn er ließ sich eines Tages so weit hinreißen, daß er über des Johannes Gäntschow Anzug spottete. Worauf Gäntschow erwiderte: Wenn Sie noch ein Wort über meine Kleidung sagen,

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