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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Aristokraten ausrotten, weil sie unsere geborenen Feinde sind. Du …
    Ich, sagte Johannes Gäntschow nachdenklich, glaube schon auch an Freiheit. Aber man kann nur in sich frei sein, nur von sich aus, verstehen Sie?
    Falsch, rief Kaenemund, die richtige Freiheit …
    |267| Und Gleichheit, fuhr Gäntschow fort, gibt es überhaupt nicht und kann es nie geben. Da müssen Sie nur mal in einen Kuhstall gucken, wo die Menschen dort schon so lange die gleichen Eigenschaften beim Vieh züchten, und kein Stück ist wie das andere …
    Aber … fing Kaenemund an.
    Und brüderlich kann man schon mal sein, sagte Gäntschow, wenn man es gerade will und hat Lust dazu. Aber meistens will man es nicht, und das ist auch nur richtig, denn sonst kriegt man einen auf den Deckel.
    Nun, der Weg nach Greifswald hinein wurde ihnen nicht langweilig. Sie hatten eine gute, heftige Aussprache, die ihnen die Straße kürzte. Wenn die beiden, Kaenemund und Gäntschow, aber auch nicht in einem einzigen Punkt einig wurden und Kaenemund weiter der Ansicht blieb, daß die Aristokraten ausgerottet werden müßten, den Lehrling Gäntschow ließ er darum doch am Leben. Und daher kam es, daß die Arbeiter nie ein Problem für ihn wurden. So weit waren die Arbeiter eben doch Arbeiter, daß sie von einem Ochsen nur Ochsenfleisch erwarteten. Und da der Lehrling Gäntschow ein fixer Kerl war und eine rechte Hilfe und kein Drückeberger und kein Protzer und kein Vornehmtuer dazu, so ließen sie ihn, wie er war. Mochte er seinen Weg allein gehen, er würde auch schon seine Mauer finden, wie jeder schließlich seine Mauer fand, an der er sich den Kopf einrannte. Und da würde er schön nach den Händen ausschauen, die ihm über diese Mauer forthelfen könnten. Und da sollte er denn eben einmal eine Weile gucken, wo die Hände eigentlich blieben.
    Damit hatten ja nun wieder die Arbeiter verdammt recht, aber vorläufig war Johannes Gäntschow von dieser, seiner Spezialmauer noch ziemlich weit entfernt. Man schrieb immer noch 1911, und die richtige dicke Spezialmauer sollte nicht früher als 1925 in die Erscheinung treten. Vorläufig war also noch alles in bester Ordnung, auch die Arbeit, trotz gelegentlichen Feld- und Seeheimwehs.
    |268| Gäntschow wohnte bei einem Volksschullehrer, einem komischen, wichtigtuerischen Männlein mit Tochter. Und diese Tochter hatte, wie so viele Lehrerstöchter, den Drang nach etwas Höherem: ein Arbeiter ist gar nichts. Die Welt fängt erst beim Beamten, eigentlich erst beim beamteten Lehrer, an. Und das Beste auf ihr ist ein Oberlehrer, ein Gymnasiallehrer, der vielleicht sogar einmal den Professortitel bekommt. Das sind alte Geschichten. Ein Johannes Gäntschow, ein Bauerntöffel, und nun noch dazu in blauer Monteurkleidung, ewig mit den Resten schwarzer Schmiere in den Furchen der Hand, war ein reiner Garnichts. Man konnte ihm zehn Jahre das Zimmer machen und sah ihn nicht.
    Bis man ihn dann doch sah. Denn das war ja so bei diesem verkorksten Mädchenkümmerling, der statt eines Eierstocks eine Rangliste am Uterus trug, daß man zwar nicht sehen, wohl aber und unter allen Umständen gesehen werden wollte. Dieser Schnösel, Sohn eines Mistbauern und Prolet, der konnte doch in seinem Zimmer am Fenster stehen und guten Morgen sagen, als sagte er es zu einer Kartoffel oder zu einem Zaunpfahl. Guten Morgen. Er saß und las am Sonntag. Kann ich jetzt Ihr Zimmer machen? Ja. Und las weiter. Er saß und las. Er ließ um sich herum fegen, er zog ein Bein an, hob das andere hoch, sie stieß mit dem Besen derb an seinen Stuhl, sie schimpfte ganz laut vor sich hin – überhörte er es? Ach was, er hörte es gar nicht! Er wußte gar nicht, daß sie da war. Oder er sagte plötzlich: Ach so!, als hätte er auf einmal die Elektrizität mit all ihrem Licht erfunden, griff den Hut von der Wand und polterte los, über ihre Eimer stolpernd. Schließlich hatte er also doch gemerkt, daß bei ihm reingemacht wurde. Aber sie hatte er nicht gemerkt. Man konnte es nun mit der schlechten Behandlung und mit der guten Behandlung versuchen, auch mit einer Mischung aus beiden, gewitterhaft zusammengesetzt, daß er erst einmal aufmerksam wurde. Man konnte es auch ein ganz klein bißchen mit Entkleidung versuchen, einem offenen |269| Knopf an der Bluse oder so, damit der Fisch erst einmal den so beköderten Haken annahm. Wenn er dann erst festsaß, würde man ihn schon mit Hohn und Spott in seinen Dorfteich zurücksetzen.
    Unterdes schluckte man leider aber

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