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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Er trat an eines und sah hinaus. Er blickte in einen großen Park. Die Bäume waren jetzt im scheidenden Winter blätterlos, der Rasen gelblich entfärbt. Aber die uralten Tannengruppen standen schwarzgrün da. Dort die Föhre hätte auf einer von Fiddichows Dünen stehen können. Die charakteristische Gestalt jedes Laubbaumes war zu erkennen. Da waren Buchen, Eichen standen da, und dort die ungeheure Linde ähnelte jenen auf seines Vaters Hof. Er stand und starrte. Der Wind rüttelte an den Bäumen. Der Regen fiel in schrägen Strichen zur Erde, etwas rührte sich in seinem Herzen.
    Ein wenig später fällt ihm auf, wie unendlich still das Haus ist. Man hört Wind und Regen, sonst nichts. Nicht einen Laut. Er entdeckt etwas zur Linken, am Ende eines besandeten Fahrweges, halb hinter Bäumen verborgen, das Haus, die Villa, das Schloß, zu dem dieser Park, dieses Pförtnerhaus gehören. Und während er am Fenster steht und die gelbliche, |281| spärlich verzierte Fassade mit den schönen, reinlinigen Fenstern anstarrt, überkommt es ihn plötzlich, warum er hier steht und so starrt.
    Es ist ja
der
Park, es ist ja
das
Schloß, Fidde auf Fiddichow – oh, Christiane! Und sein Herz erzittert stärker, es ist nun fast vier Jahre her. Langsam beginnt er zu begreifen, was mit ihm geschehen ist. Nein, siehe, er hat es noch nicht verwunden. So hat er im Schloß gestanden, auf den Park gesehen, fünf Jahre lang haben sie so gemeinsam hinter Winterfenstern hervor auf den Frühling ausgeschaut – wo bist du, Kamerad? Warum hast du mich verlassen, Freundin?
    Er starrt hinaus, starrt hinaus, sein Herz quält sich, nichts von Erleichterung, er ist doch wie ein Mensch, der endlich nach langem, langem Leiden das Wesen seiner Krankheit begriffen hat. Es sind die Rasenflächen, es sind die Baumgruppen, es sind die Schlängelpfade – sie aber hat alles im Stich gelassen. Zierlich und rasch, dunkel, bräunlich, mit langen Wimpern, festen Händen, eine Wonne anzusehen, das war sie gewesen. Mit dem Bullenberger hatte sie einen Vertrag gemacht und hatte ihn gehalten – hatte sie aber denn nicht mit ihm einen viel festeren Vertrag gemacht, und den hatte sie nicht gehalten?!
    Da, sehen Sie, Gäntschow, sagte der Lehrer gerade in seinem Rücken, haben Sie so was in Ihrem Leben schon gesehen? Ja, da machen Sie Ihre Augen auf. Das ist meine Frau! Und er lachte. Durch die Tür war lautlos ein Wesen hereingekommen – war das ein Mensch? –, eine kleine, unförmige Masse, sicher an die drei Zentner schwer, blaurotes Gesicht, blaurote Arme und Hände, im Fett ertrinkend, drei, vier Kinnfalten übereinander, spärliche Haarstriemen herabhängend von dem bleichen Schädel, ein böser Traum von einer Frau, ein Alpdruck von einem Menschen …
    Gäntschow starrte, der Alte kicherte. Ja, da kann man schon starren. Haben Sie so was schon gesehen?! Ich glaube, Sie können die ganze Welt absuchen und finden solch Monstrum nicht wieder …
    |282| Das Wesen hatte sich langsam gegen einen Tisch geschoben, es schnaufte dabei regelmäßig wie eine Maschine.
    Um Gottes willen, flüsterte Gäntschow, den Blick auf der Frau. Sie hatte ein Tablett getragen. Nun nahm sie, ohne den Blick zum Tisch zu senken, mit rasch suchenden, unendlich geschickten Händen zwei Tassen, eine Kaffeekanne, Milch und Zuckerdose vom Tablett, stellte alles auf den Tisch – wie im Traum, kein Löffel klirrte.
    Ich zeige sie sonst nie, sagte der alte Lehrer und kicherte wie ein Narr. Nicht wahr, sie sieht toll aus. Manchmal sehe ich es gar nicht mehr. Aber wenn ich jetzt Ihr Gesicht anschaue, wirklich, ich glaube, sie ist in der letzten Zeit noch fetter geworden. – Sie sollen in ihrer Gegenwart nicht so von ihr reden, protestierte Gäntschow tonlos.
    Ach, sagte der alte Mann erklärend, Sie haben es noch nicht gemerkt? Sie ist taubstumm und blind. Darum habe ich sie doch geheiratet. Er ging auf das Wesen zu. Irgend etwas mußte ihr seine Annäherung verraten haben. Sie wandte langsam dem Mann das Gesicht zu, streckte eine Hand aus, eine unförmige Pfote, aus deren jedem Finger Fett zu sickern schien. Er tippte mit den Fingern in die Handfläche, schloß die Hand, öffnete sie, tippte wieder.
    So spreche ich mit ihr, erklärte er. Aber sie vergißt jetzt alles. Ich glaube, sie hat auch bald kein Hirn mehr. Er lachte selbstgefällig. Wenn ihr Bengels mich ärgert, ihr denkt, ihr könnt mich ärgern, aber – ich habe doch die hier! Er erklärte wieder und sprach dabei mit seinen

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