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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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diesen Friedensschluß nichts beendet. Nichts endet dadurch, daß man sich mit seinem Feind in dasselbe Bett legt, man muß seinen Feind schlagen oder untergehen!
    Was du groß geworden bist, Johannes, ein wahrer Enak, sagte der alte Mann leise, an seinem ehemaligen Schüler hochblinzelnd. Nun, du warst schon immer ein strammer Kerl. Schon damals in den Zeiten mit Christiane. Von Christiane hast du gehört, nicht wahr? Sie soll lungenleidend sein, sie sitzen jetzt schon so viele Jahre im Süden, Frankreich, Italien – jetzt ist es Ägypten. Manchmal schreibt sie mir Briefe. Entzückende Briefe, sie hat so viel Witz. Und Geduld. Geduldig war sie schon immer. Sie braucht das auch. Der alte Graf soll ja halb schwachsinnig geworden sein. – Nun, du jedenfalls bist groß und stark geworden – was lernst du jetzt eigentlich? |301| Oder lernst du gar nichts? Es ist vielleicht besser, nicht zu fragen. Ich frage die Leute überhaupt nichts mehr. In jedem Haus ist etwas nicht in Ordnung. Wir müssen mal über all das sprechen. Wir sehen uns doch bald einmal, nicht wahr? Es wird sich schon einmal so einrichten. Sie fährt vielleicht am Dienstag nach Stralsund. Oder noch besser, wir treffen uns im Schwedischen Hof. Daß Reeses zweite Frau auch schon wieder tot ist, hast du gehört. Eine häßliche Krankheit, es wird so viel davon geredet, es soll ja gar kein Krebs sein. Nun, jetzt hat er die dritte. Manche Menschen überdauern alles. Nicht, daß ich was gesagt haben wollte,
relata referro
– du kannst doch noch dein Latein?
    Guten Tag, sagte Johannes und ging eilig los. Unerträglich, einfach unerträglich. Greisengeschwätz, ein geifriger Mund, Rache an der ganzen Menschheit, weil man einmal zwei Totenreden verwechselt hatte und einem das auch nicht verziehen wurde. Ägypten, wahrhaftig, da gab es Pyramiden und die Sphinx, die eigentlich der Sphinx hieß. Man ritt auf Kamelen und Eseln dahin, er hatte es auf einem Bilde gesehen. Ein wolkenloser, blauer Himmel, Sand und Blutspucken, ein töricht werdender Vater, aber witzige Briefe an einen alten Superintendenten – so endete es.
    Das Tor zum Schloßpark steht halb offen. Es hat sich in seinen Angeln gesenkt. Sicher ist es in all den Jahren überhaupt nicht mehr geschlossen worden. Heruntergerissene Zweige, die meisten Scheiben im Gewächshaus entzwei. Bestimmt geht das ganze Dorf jetzt hier Holz sammeln, und die Kinder benutzen den Park als Spielplatz. Niemand hindert Johannes, umherzugehen, soviel er mag. Vor allen Fenstern hängen die Jalousien, es ist ein blind gewordenes Haus.
    Er geht umher. Er wandert über die Trümmerstätte seiner Kindheit. Hier ist die ganze Fliederhecke weggehauen, wer macht nur solche Gemeinheiten? Sein Leben langsam, Tag um Tag, forthusten, übrigens ist auch das Springbrunnenbassin in Stücke gefroren. Gras und Unkraut auf allen Wegen, Moos im Rasen, vier Jahre lang ist man in der Welt herumgelaufen, und |302| drinnen in einem hat der Groll gesessen, als sei man von seinen besten Freunden verraten.
    Es stimmte alles schon wieder nicht mehr – das kann man schon verstehen, daß sich eins verkriecht zum Sterben. Witzige Briefe an einen alten Superintendenten – das geht noch an. Aber gefühlvolle Briefe an einen alten Freund, und Blut spucken, Erinnerungen nähren und schon bald jedem Erinnern entrückt sein – pfui Teufel! Hübsch falsch gemacht, lieber Gäntschow! Einmal müßte man doch eigentlich dahin kommen, daß man nicht nur sich, sondern auch dem andern eine Chance gibt. Alle – dich natürlich von vornherein ausgenommen – sind vielleicht doch nicht Viech, und Verurteilen ohne Anhören ist schon immer eine Viecherei gewesen.
    Hier mitten im Rasen ist eine junge Eiche aufgewachsen, hat sich wohl angesamt, sich vier Jahre Mühe gegeben, mit einem Knacks ist sie weg – Trümmerstätten sind Trümmerstätten. Hat Neues daraus zu wachsen?
    Es ist drei oder vier Tage später, als der Bauer Gäntschow plötzlich zu seiner Frau beim Kaffee sagt: Am Sonnabend müssen Hannes seine Sachen fertig sein.
    Sie erhebt ein klagendes Geschrei: Wieso und warum so plötzlich, und es ist nichts im Haus, und es ist unmöglich.
    Also, du weißt Bescheid. Sonnabend. – Komm mit, Hannes. Du kannst heute mal die Pferde anschirren. Max, du fährst Gerste zur Mühle zum Schroten. Wenn ich mich nicht um alles kümmere …
    Aber, fängt Max an.
    Hast verstanden, zur Mühle, nicht? Los, Hannes!
    Vater und Sohn gehen in den Stall. Der Alte stellt sich an die

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