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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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    Laßt euch nichts von dem Penner gefallen! Wartet, ich komme gleich, schreit Acer.
    Aber Gäntschow hat schon Luft. Und er greift rasch nach dem dunklen Körper, der in den blaugrünen Wogen rollt, er trägt ihn auf seinen Armen, er entsteigt den Fluten …
    Da, sagt er zu dem Studenten, und legt den Knaben Lenz in den Sand. Er muß sich sofort daneben setzen.
    |294| Ertrunken?! fragt der Student und wird bleich. (Seine ganze Karriere steht auf dem Spiel, schließlich ist er für die Jungen verantwortlich.)
    Ertrunken, antwortet Gäntschow und plauzt um. Der Vulkan in ihm speit rotglühende Blutströme in alle Gehirnkammern.
    Der Typhus, den sich Johannes Gäntschow im braunen Wasser des Bourtanger Moors aufgesammelt und den er durch Wochen mit sich herumgeschleppt hatte, bis die Bazillen über seinen Riesenkörper Herr wurden, machte allen Träumen von Freiheit ein Ende. Es fing damit an, daß im Krankenhaus zu Haarlem neben seinem Bett nicht nur der Schüler Lenz, sondern auch der Vater Lenz saß, der Kammergerichtsrat aus Berlin, ein eher zierlicher Mann, mit kinderhaft kleinen, zarten Händen und Füßen, mit einem Spitzbart und blauen, aber etwas müden Augen hinter einer Goldbrille.
    Dieser Beamte hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß er seinen Sommerurlaub durchaus in der Stadt Haarlem verbringen wollte, sicherlich einer sehr hübschen, einer sauberen, einer gepflegten Stadt, aber nicht gerade ein Ort für sechs Wochen Sommerfrische. Und die nicht einmal verbracht in der Stadt, in der Umgebung, unter Bäumen, nein, ausgerechnet in einem Krankenhaus. Bitte nein, kein Gefasel von ewiger Dankbarkeit und Lebensrettung, kein Männerhändedruck voller Bedeutung, aber sich neben ein Bett gesetzt, eine Woche, zwei Wochen, da sinkt das Fieber, drei Wochen, vier Wochen: In der nächsten Woche fangen wir an aufzustehen, fünf Wochen: Sehen Sie, Schritt um Schritt, stützen Sie sich ruhig fester auf mich, ich bin gar nicht schwächlich. Und was nun? – Ich würde ja doch dafür sein, daß wir einmal Ihrem Herrn Vater schrieben. Ich sehe es gewissermaßen als unsere Pflicht an, sagte der zierliche Herr und bemühte sich, nicht unter den Griffen von Johannes zu keuchen.
    Der schwieg.
    |295| Das meiste im Leben, sagte der alte Herr wieder, sind Mißverständnisse. Die ganze Welt ist voll davon. Manche sind aufzuklären, manche sind nicht aufzuklären. Andere werden einfach aus Nachlässigkeit nicht aufgeklärt. Das scheint mir Ihr Fall zu sein. Der Kammergerichtsrat dachte und sprach immer in Fällen.
    Herr Lenz dachte nach. Der großnasige Sohn, wieder ganz erholt, sah seinen Vater von der Seite an, ging stumm nebenher.
    Was sagt der Arzt? fragte Johannes.
    Sie haben mir ja alles erzählt, sagte Herr Lenz überraschend. Sie haben mir ja alles erzählt: Besserwissen eines Bengels, wütender Vater, Schwur, dreijährige Lehrzeit – hat Ihr Herr Vater übrigens geschworen, daß Sie nie Landwirt werden sollten oder daß Sie nur nicht auf seinem Hof Landwirt werden sollten –?
    Was meint der Arzt? sagte Johannes hartnäckig.
    Ja, richtig. Können wir uns einen Augenblick auf diese Bank setzen? Ein Riese – was für Reserven euch eure Väter mitgeben! – Er wischte sich die Stirn. Ich habe mir übrigens gleich gedacht, daß Sie sich nicht mehr so genau erinnern, es ist ja neun Jahre her. Das Gedächtnis ist die unzuverlässigste Geschichte von der Welt. Natürlich können Sie Landwirt werden, dem steht nichts im Wege. Nur nicht gerade auf dem väterlichen Hof, den ja auch Ihr Bruder Max erben wird.
    Woher wissen Sie denn das? fragte Johannes verblüfft. Übrigens wird mein Vater Ihnen schon Bescheid sagen.
    Ihr Herr Vater hat mir schon Bescheid gesagt, er sitzt übrigens unten in der Halle. Ach nein, da kommt er ja schon. – Die kleine, zierliche Hand legte sich überraschend fest auf Johannes’ Arm. Es hat nicht den geringsten Zweck, daß Sie weglaufen, Herr Gäntschow, Sie sind für Weglaufen noch zu schwach. – Der kleine Herr sprach immer eindringlicher: Im übrigen werde ich Ihren Fall führen, als sei es mein eigener. Was sage ich, mein eigener? Als seien Sie von Todesstrafe bedroht, so werde ich ihn führen. – Sehr ernst: |296| Sie sind von Todesstrafe bedroht, Herr Gäntschow! Vielleicht noch von viel Schlimmerem: vom Verbummeln, Verkommen auf der Landstraße. Man ist sich zu gut für so etwas, wenn man überhaupt etwas ist.
    Er sah der Gestalt des Bauern entgegen, der abwartend vor einem Beet an dem

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