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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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langen, rundköpfigen Lindenweg stand.
    Der Kern der Sache ist der, sagte er nachdenklich, daß Vater wie Sohn sich beide nicht mehr erinnern, was eigentlich war – Selbstverständlich können Sie Landwirt werden, Ihr Herr Vater wird es Ihnen jetzt bestätigen.
    Solange der kleine, zierliche Herr Kammergerichtsrat Lenz bei Vater und Sohn blieb, ging alles glänzend. Dieser Herr hatte eine so überraschende, blitzgeschwinde Art, Hürden zu nehmen, scheinbar rechts und links vorbeizusehen, da ist kein Hindernis, ich sehe nicht die Spur einer Hürde …
    Ein oller Heimtücker, grollte der alte Gäntschow. Mich hat er mit zehn Sätzen so durcheinander geredet, daß ich nie mehr wissen werde, was ich eigentlich je gedacht, gesagt und getan habe.
    Ein etwas beunruhigender Mann, dieser Herr Lenz. Johannes Gäntschow sah und hörte ihn. Er konnte das dünne Kinderhändchen mit den blauen Adern und dem schönen alten, roten Siegelring lange betrachten und denken: So kann man auch sein, auch das ist Kraft, auch das ist Stärke. Vater ist sicher stark, und vielleicht bin ich noch stärker als Vater. Aber es fragt sich doch sehr, ob dieser alte Herr Kammergerichtsrat nicht zehnmal stärker ist. Eisen, jawohl, eine gute Sache, stark, dauerhaft, aber Stahl, geschmiedeter Stahl läßt sich biegen und schnellt zurück, scharf … eine ungeheure Kraft. Vater machte es sich bequem, Vater sagte einfach: Heimtücker. Vater kapierte nicht, was für eine nie rastende Selbstdisziplin dazu gehörte, einem schwachen Körper solche Überlegenheit abzugewinnen. Vater sagte, als sie nach dem Abschied im Zuge saßen: Gottlob, mit diesen Studierten kann man nie reden, die quatschen einen um und dumm.
    |297| Immerhin, trotz allen Absprechens hatte dieser Berliner Herr Lenz beim Vater Ungeahntes erreicht. Johannes hatte sich gescheut, nach dem Reiseziel zu fragen, aber sie fuhren tatsächlich ohne ein Wort, ohne Aufhebens nach Fiddichow auf den alten, guten Hof.
    Als sie vom Kirchdorfer Bahnhof die halbe Stunde bis zum Hof gingen, der Sohn immer noch in seinem Schilfleinen mit dem fast leeren Rucksack auf seinem Rücken, warfen die Leute die Köpfe, als habe sie eine Bremse gestochen, und sicher war die Rückkunft des verlorenen Sohnes, noch ehe alle schlafen gingen, auf der Halbinsel herum.
    Es war Herbst, als die beiden heimkehrten. Die Getreidefelder waren abgeerntet, schon zog der Pflug überall seine Furchen für die Wintersaat. Warder lag zwischen seinen Pappeln, von den mächtigen Kronen der Linden überragt, an einem grauen, windigen Nachmittag still und schweigend da. Bruder Max kam über den Hof geschlurft, drückte dem Jüngeren mit einem »Dag ok« etwas brummig die Hand und verschwand durch eine Stalltür. Die Mutter hatte wie immer nichts fertig, sie hatte geglaubt, der Zug würde Verspätung haben, und mußte nun eilig Kaffee kochen. Unterdes ging Johannes in sein kleines Giebelzimmer hinauf, setzte sich ans Fenster und sah auf den Giebel der Feldscheune. Ein paar Schalbretter waren erneuert, die ganze Scheune war mit Karbolineum gestrichen, überhaupt schien der Hof gut instand. Das Giebelzimmer, das früher stets zu klein für all die Kinderbetten gewesen war, enthielt jetzt nur noch zwei Bettstellen. Die eine war frisch bezogen, die war für ihn, die andere war für Max. Sie waren nun die beiden einzigen auf dem Hof. Ernst war bei der Post in Altona und Erna auf einem Hof im Vorpommerschen als Geflügelmamsell. Mehr Kinder gab es nicht.
    Die Mutter rief zum Kaffee, der Vater war doch noch vor Dunkelheit aufs Feld gegangen. Johannes mußte allein trinken. Die Mutter setzte sich dazu. Sie sah erschreckend alt und entstellt aus: Gegen einen Ausschlag an der Stirn hatte |298| sie irgendeine Hausmittelsalbe gebraucht, der Ausschlag war fortgegangen, aber die Stirn hatte eine dunkle, blaugraue Farbe angenommen, die unter dem spärlichen, strähnigen Scheitel und über dem faltigen, zusammengekniffenen Mund erschreckend gespensterhaft wirkte.
    Die Mutter hatte seinen Rucksack schon durchwühlt, sie wollte wissen, ob noch Gepäck käme, und brach in ein trostloses Weinen aus, als sie hörte, daß alle Strümpfe, Hemden, Unterhosen endgültig »weg« seien. In der Küche klapperten die Mädchen mit den Melkeimern. Johannes stand ungeduldig und gereizt auf und ging in die Ställe.
    Im Schweinestall schloß sich ihm der Bruder Max an. Das Vieh sah proper und rund aus. Der Stall war ganz neu ausgebaut, sie mästeten nur noch mit russischer

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