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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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vieles hing von einem ab. Auch diesmal hing vieles von ihm ab. Nicht etwa seine Zukunft. Ob er hier siegte oder fiel. Nicht das Vieh. Selbst das verdurstende Vieh war bedeutungslos. Nein, was hier geschah, hatte eine viel tiefere Bedeutung.
    Es war 1919, sie bildeten Bündchen und Parteilein, sie schmollten in den Ecken, ließen sich pensionieren und vertrugen kein Kuhgebrüll, sie ließen Proteste vom Stapel. Er hatte Sterbende mit Bauchschüssen achtundzwanzig Stunden lang schreien hören, er konnte auch Kühe brüllen lassen, darum ging es ihm nicht, aber er wollte eine Insel schaffen, ein Zeichen. Sie hatten schon zwei Wochen länger bei ihm gewartet, ehe sie ihm den Streik ansagten. Sie sollten morgen wieder |318| arbeiten! Morgen? Heute noch! Die Gnädige dachte, es ging ihm um die Wirtschaft. Was ging ihn Rittergut Schadeleben an. Nein, was ging ihn die Familie von Brest an! Aber die Äcker blieben immer. Das Land war unzerstörbar. Vielleicht dachte die Gnädige auch, es ginge ihm um seine persönliche Geltung. Jawohl, richtig, meine Gnädigste, um die geht es ihm auch. Geltung will er haben, unbedingte Geltung. Aber nicht um seinetwillen, nicht aus Eitelkeit, sondern weil er die richtige Sache vertritt! Wie heißt die Sache, seine Sache –? Die Meieristin im selben Raum ist dabei, Käse zu machen. Sie schicken hier aus Hinterpommern Sahne nach Berlin und machen aus der blauen Milch einen billigen Magerkäse, Backsteinkäse heißt er. Er muß erst in ein mit Salzwasser getränktes Tuch gepackt werden, um genußfähig zu werden. Man braucht nicht sehr aufzupassen, um diesen Käse zu machen. Die Meieristin hat vollkommen Zeit, den Mann dort am Fenster zu beobachten. Sie ist ein schönes, stilles, schwarzes Mädchen aus Ostpreußen, sie wird Jagusch genannt, oder Jaguscha. Sie sagt alle Stunden kein Wort zu dem Mann. Sie sieht ihn nur an.
    Es ist nicht unmöglich, daß der Mann ganz instinktiv diesen Beobachtungsposten gewählt hat, um sie in seiner Nähe zu haben. Wenn man auch kein Wort miteinander spricht, solch schönes, stilles Mädchen in der Nähe tut immer gut. (Er ist ja erst fünfundzwanzig Jahre!)
    Gegen halb drei kommt die Mamsell höchstpersönlich herüber, ob Herr Gäntschow denn nicht essen wolle? Vielleicht hat sie sich auf einen kleinen Klöhnschnack über die schrecklichen Ereignisse Hoffnung gemacht. Aber was sie erlebt, ist ein Vulkanausbruch: Feuer und Donner. Sie läuft mit eingezogenen Schultern wie in einem schweren Gewitter über den verbotenen Hof zurück. Die Tränen stürzen ihr übers Gesicht. So hat sie noch nie jemand angeschrien!
    Um halb fünf nimmt Gäntschow die Schlüssel und geht langsam über den Hof. Am Tor stehen erst zwei, drei Weiber mit ihren Melkeimern. Sie sehen ihn mit großen, verängstigten |319| Augen an. Er schließt das Tor auf, sagt langsam und deutlich guten Abend, hängt sorgfältig den rechten Torflügel fest, dann den linken, sieht noch einmal nach den drei Weibern und geht langsam aus dem Tor, vom Dorf fort, den Feldern zu.
    Der Hof ist ohne Aufsicht.
    Die drei Frauen sind bis an die Tür vom Leutekuhstall gekommen. Sie sehen rasch hinein, ihr Vieh ist etwas unruhig, aber in Ordnung. Nun spähen sie nach dem großen, herrschaftlichen Kuhstall hinüber, dessen Tore immer noch weit offen stehen. Das Stöhnen, das von dort herüberklingt, ist schauerlich. Manchmal brüllt eine Kuh heiser röchelnd auf, als läge sie im Sterben.
    Er ist fortgegangen, sagt die eine Frau leise.
    Ja, ich hab’s gesehen, sagt die andere.
    Eine vierte und fünfte kommen dazu. Er ist weggegangen, sagt die erste wieder.
    Ja, ich sah ihn über den Roggenschlag gehen, sagt die fünfte.
    Sie starren weiter zum Stall hin.
    Wollt ihr nicht melken? fragt eine.
    Ich geh rüber, sagt die Große, Stämmige, die am Morgen ihren Johann verhauen wollte, mit plötzlichem Entschluß. Totschlagen kann er mich nun doch nicht. Und sie läuft rüber, als sei der Feind hinter ihr, mit klappernden Holzschuhen und Eimern.
    Recht hat sie, sagt eine andere, man kann das Vieh doch nicht verrecken lassen, weil die Männer düsig sind.
    Und sie laufen alle hinüber zum Kuhstall.
    Hier müssen Männer her, ruft die Stämmige den andern entgegen, das Vieh ist rein wild. Schlägt einem die Wassereimer hin und mit den Hörnern auf mich los. Trina, lauf.
    Als Gäntschow um halb sieben auf den Hof kommt, brennt in allen Ställen Licht. Die Weiber singen sogar beim Melken. Ein tiefer, erlösender Atemzug dringt

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