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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Schönekerl, fünfmal mit dem Gendarmen und zweimal mit dem Amtsrichter telefoniert, aber: in diesen irrsinnigen Zeiten gab es ja weder Recht noch Gesetz.
    So wurde sie ihr eigenes Gesetz, holte sich mitten in der Nacht zwanzig treu anhängliche Deputanten zusammen, holte Administrator, Inspektor, Verwalter und Rechnungsführer aus den Betten, ließ ihr Hab und Gut beim Licht von Stallaternen – das elektrische Licht funktionierte mal wieder nicht, die Elektrizitätsarbeiter dienten dem neuen Staat erst mal durch Streiken –, also beim Licht von Stallaternen wurde |311| alles auf Leiterwagen verladen und achtzehn Kilometer weit zur Bahnstation Piepenburg gefahren.
    Die Gnädige begleitete, auf ihrem Fuchs reitend, eine Virginia nach der andern qualmend, selbst den Transport, hauchte den verängsteten Bahnhofsvorsteher in Piepenburg, der schon so nicht wußte, wo ihm der Kopf stand, derart an, daß wirklich drei leere Güterwagen aufgetrieben wurden, verlud darin die Möbel von Administrator, Inspektor, Verwalter (der Rechnungsführer hatte, trotzdem er todsicher der Hauptdieb war, nur ein Handköfferchen) und sah schließlich befriedigt auflachend der Abfahrt der vier verfrorenen, übernächtigen, aber wilde Drohungen ausstoßenden Helden nach.
    Dann setzte sie sich an die Spitze ihrer Kolonne, machte um vier Uhr nachmittags noch bei ihrem Vetter von Berg, auf Panker, einen kurzen Aufenthalt, ließ den Leuten dort zu essen und zu trinken geben, während sie ein Telefongespräch (das Telefon funktionierte seltsamerweise) mit ihrem Vetter, von Gundt, im Kreise Lauenburg, führte.
    Jawohl, der wußte einen für sie passenden Beamten, etwas jung zwar noch, aber drei Jahre im Felde gewesen, Oberleutnant geworden, schrecklicher Dickkopf, eigensinnig wie ein Maultier, aber glänzender Landwirt und unbestechlich.
    Sie entschied, daß ihr selbständige Leute tausendmal lieber seien als »Kreaturen« – worin sie sich gewaltig täuschte – und engagierte diesen fünfundzwanzigjährigen Jüngling per Telefon.
    Dann trank sie rasch ihren Tee, sagte ohne jede Rücksicht auf die Dienerschaft ihrem Vetter sehr laut und unverblümt ihre Ansicht über diese Zeiten und ritt an der Spitze ihrer Mannschaft wieder nach Schadeleben ab, wo sie tief in der Nacht, vierundzwanzig Stunden nach ihrem Aufbruch, wieder eintraf. Im Schloß schlief schon alles, auch ihr Mann. Scheinbar hatte sich kein Mensch um sie geängstigt. Sie ging in die Speisekammer, holte sich ein kräftiges Essen – hauptsächlich aus den Ergebnissen von Schwarzschlachtungen – |312| zusammen, stieg in den Keller, kehrte mit einer Flasche Bordeaux zurück und hielt eine ausgiebige Mahlzeit. Zum Schluß trank sie die beiden letzten Gläser Rotwein zu einer Virginia langsam aus, wobei sie gedankenvoll in das Kaminfeuer starrte.
    Sie war eher klein als groß, mit sehr starker Brust und überhaupt pummelig, kindlichen, kleinen, sehr weißen Händen, aber einem Löwenkopf mit ausgeprägter Kinnpartie und durchdringenden, klaren Augen unter einer schweren, festen Stirn.
    Als die Zigarre am Ende war, stieß sie sie energisch in den Aschenbecher, stieg in das Schlafzimmer hinauf und weckte den verschlafenen, verflossenen Regierungsrat. Sie schalt ihn herzhaft aus, weil er nicht die geringste Ahnung von dem hatte, was in ihrer Abwesenheit in der Wirtschaft passiert war, erzählte ihm dann alles, was sie getan hatte, und war vollkommen mit seinem gebrummten »Ja schön« oder »Gut, Malwida« zufrieden.
    Am 1. Januar 1919 traf dann also der neue Administrator Gäntschow, von Piepenburg kommend, mit einem Schlitten auf Schadeleben ein. Dieser Hüne mit dem etwas strengen, bartlosen Gesicht, aus dem zwei sehr große blaue Augen scharf blickten, hörte mit undurchdringlicher Miene ihre eindringlichen, eifrigen Wirtschaftserläuterungen an, schwieg fast ganz beim Rundgang durch die Ställe und bei der Rundfahrt über die Felder und überraschte sie nur zweimal. Einmal, als er ziemlich unmißverständlich zu sich sagte: Alles Quatsch, dann, als er sich an ihren Mann wandte: Und was ist nun
Ihre
Ansicht, Herr Regierungsrat? Sie hatte ihren Mann selten so verlegen gesehen.
    An die Besichtigung schloß sich eine endlose Besprechung über die Frühjahrsbestellung und die notwendigen Gelddispositionen, bei der Frau von Brest sehr eindringlich ihre Pläne entwickelte, dann sagte sie ihrem neuen Beamten, was in den nächsten Tagen in der Wirtschaft zu tun wäre. Seine Antwort auf all das

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