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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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der Ketten vertragen kann. Sie werden sich wund- und kaputtmachen.
    Es gibt gar keine Kette, die mich so halten kann, sagt Gäntschow nachdenklich. Ich werde mich von jeder frei machen, ohne Reue und ohne Bedenken.
    Aber denken Sie an die Kinder, ruft Herr Lenz.
    Es ist ein Aberglaube, sagt Gäntschow, daß Kinder Väter brauchen. Kinder brauchen nur Mütter. Und so hat es denn die Natur ja auch eingerichtet.
    Nichts zu machen. Es klang häßlich, und es war häßlich. Theoretisches Gerede, halb verdautes Geschwätz, Schopenhauer und überhebliche Tuerei – es wäre unerträglich gewesen ohne den Schimmer von Jugend, den zarten Flaum von Liebe. Ja, er liebte sie eben doch. Seine Augen waren aufgetan worden, und er hatte alle ihre Schönheit gesehen. Sein Herz war bezwungen, dieses junge, unverbrauchte Herz, das sich nie mit Liebeleien und Weibern verplempert hatte. Hinter dem grünen Zaun des Schulhauses von Klein-Kirschbaum war die Liebe zu Haus. Mit all ihren Entzückungen und Überraschungen. Es standen ja den ganzen Winter blühende Blumen im Fenster, es war ein Liebesnest, mit Sauberkeit, Unverbrauchtheit, Übermut, Lachen. Sie waren so unbekümmert und schamlos wie die Natur. Es war der Urtrieb alles Seins, der sie zusammenführte – was kümmerte sie das Gequatsch der Leute! Ein Pferdeknecht, der den jungen Gäntschow wecken sollte und keine Antwort aus seiner Stube bekam, nahm seine Peitsche, marschierte zum Schulhaus und klopfte dort mit der Peitsche gegen die Scheiben: Aufstehen, Herr Gäntschow! Jawoll, Zehdenick!
    Und dann ein erschrockener Aufschrei Elises.
    |342| Aber sie lachten doch. Auch Elise lachte schließlich. Sie war nicht nur ein Bürgerpummelchen, sie konnte wachsen, wenn ein Pfahl ihr half. Unverbraucht und ohne Reue, ein Schimmer von Glück, Seligkeit, vorher und danach, Trunkenheit des Lebens ohne Rausch – es war doch schön!
    Und es kam ja auch der Krieg dazwischen, lange Zeit sahen sie sich kaum. Und wenn sie sich sahen, war er aufgeschlossener, sein Bedürfnis nach Zärtlichkeit war größer, sein Herz weicher und mitteilsamer.
    Man muß sie beide so sehen, an irgendeinem Märzabend des Jahres 1918. Sie gehen noch ein Stück auf der Chaussee bei der Station. Der Kleinbahnzug läßt auf sich warten. Er ist übergroß und breitschultrig, sein Gesicht ist noch schärfer geworden, mit den klaren, durchdringenden Augen. Sie, fast klein und zierlich neben ihm, dicht eingehängt, ängstlich bemüht, den Schritt ihrer schlanken, schönen Beine seinem endlosen Schritt anzupassen. Sie sind zehn Tage fast ununterbrochen zusammen gewesen. Auch wenn sie unterrichtete, hat er im Nebenzimmer gesessen bei angelehnter Tür, daß er den Schimmer ihrer Gestalt sehen, den Klang ihrer raschen, eifrigen Stimme hören konnte. Sie haben in diesen zehn Tagen nur dem Glück und dem Beieinander gelebt. Sie haben nie von »dem da draußen« gesprochen.
    Aber nun, da schon über dem von der Wintersaat smaragdgrünen Hügel die weiße Rauchfahne des nahenden Zuges weht, wendet er ihr plötzlich sein Gesicht zu, seine Augen sehen sie an, seine Lippen zittern etwas. Es ist zum Kotzen, flüstert er. Und dann senkt er den Kopf, als schämte er sich.
    Sie, Elise Schütt, die ihn meistens so schwer versteht, versteht ihn diesmal sofort. Du kommst wieder, sagt sie, du kommst wieder. Ihre Stimme ist eine gläubige Kinderstimme.
    Es ist nicht um das Wiederkommen, sagt er gramvoll, es ist alles da draußen … Er sieht es. Und dann fährt er ab.
    So etwas kittet und läßt viel verstehen. Ein Mann verdrängt es, ein Mann will solche Stunde vergessen, aber eine |343| Frau bewegt sie in ihrem Herzen. Und nun schreibt er ihr ein Jahr später, da er zurückgekehrt ist, immer wieder einmal: Ich bin nicht der Mann für dich. Ich bin kein Mann, den man heiratet, tu’s nicht. Aber sie weiß schon, wer er ist, wenigstens, was er für sie ist. Er ist ihre ganze Jugend und ihre ganze Zukunft. Was sie mit ihm erlebt hat, wird sie nie wieder in ihrem ganzen Leben, und dauerte es tausend Jahre, erleben können. Er ist ein Stück von ihr, sie kann es sich nicht aus dem Leib schneiden.
    Ich weiß, was ich tue, schreibt sie ihm in ihrem leicht etwas zu überschwenglichen Stil, ich gehöre dir für ewig. Es kann gut ein bißchen schlimm kommen, das macht nichts. Ich halte es schon aus. Du darfst dich nie gebunden fühlen an mich, du sollst dich immer ganz frei fühlen.
    Er lächelt, wie er diese Antwort liest. Es ist ein doppelbodiges

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