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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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hatte? Es war der Durchschnitt, es war der |366| Trott – dazu hätte nicht erst ein Schimmer schimmern, ein Feuer lohen müssen. Die erste Nächste hätte es auch getan. Ach, vielleicht war sie wirklich nur die erste Nächste gewesen, nur die Jugend und die Kriegsentbehrungen hatten sie umgoldet?
    Ja, es wäre vielleicht alles noch erträglicher und würdiger geworden, wenn der Abstand zwischen seiner und ihrer Liebe nicht so unendlich groß gewesen wäre! Was auch geschah, was er auch tat, er blieb stets innerster Sinn ihres Lebens, sie liebte ihn wirklich unendlich. Hätte sie ihn nur ein klein wenig weniger geliebt – aber das war ja ewig wie Forderung und Anklage! Es ist ja völlig unmöglich, wenn man mit einem Händedruck, einem freundlichen Wort das andere schon ganz aufgeregt vor Glück machen kann. Man muß sich ja schämen, man darf es ja nun auch nicht mehr zu Händedruck und freundlichem Wort kommen lassen!
    Es gab eine Zeit, wo das etwas anders wurde in ihrer Nähe, sie entfernte sich ein wenig von ihm. Er ging sehr viel näher an sie heran. Das war damals, als sie ein Kind erwartete. Sie hatte ihm kein Wort davon gesagt, aber er erriet es in irgendeiner Minute, schon sehr früh, über den Eßtisch weg, als sie still vor sich hin sah. Sie blickte auf einen Teller. Es lag irgend etwas darauf, Pudding oder Fleisch – und da war es! Auf ihren Wangen lag eine kleine Röte, in ihren Augen war ein unbekannter, zärtlicher Schimmer – ja, da war es! Er senkte den Blick, als hätte er etwas Verbotenes gesehen, und aß weiter. Auch er sprach mit keinem Wort darüber, aber nachher stand er lange in seinem Zimmer. Er machte das Fenster auf, der Herbstwind trieb herein mit seinen Blättern, von der Hauskante her, wo sie sich aufgehäuft hatten, roch es faulig nach Vergehen – aber für ihn wuchs es. Und er sah sein Kind, den wahren Gefährten aus seinem Blut, dem er das würde geben können, was er geworden war. Er fühlte die noch kleine Hand vertraulich in der seinen, und schon dann würde er über alles mit ihm reden können – ein unendliches Glück strömte auf ihn ein.
    |367| Später holte er sich das Pferd aus dem Stall und ritt lange durch das Land. Eine milde, gelöste Stimmung erfüllte ihn, seine Selbstsicherheit war plötzlich nicht mehr da, es ging auch über ihn hinaus noch weiter. Es war sogar gut, daß es über ihn noch weiterging.
    Die feierlich schweigenden Äcker, der Wald mit seinem weichen Boden, später die Sterne, die so deutlich hervortraten und die mit ihrem stillen Funkeln auch sein Herz – wie alle Herzen – mit einer unbestimmten Sehnsucht erfüllten, dann der leichte Bodennebel, der die Nähe undeutlich machte und in einem plötzlichen Durchblick über das Seewasser hin dunkle ferne Wälder sehen ließ, die kalte, zunehmende Sichel des Mondes darüber – all dies und was sein sonst stets so ängstlich behütetes Herz dazutat: es wurde eine Art Einkehr daraus, eine Heimkehr zu den Quellen seines Seins. Ohne billige Reue, aber auch ohne billige Vorsätze.
    Von da an veränderte beider Leben durch Wochen und Monate sich seltsam, ohne daß je ein Wort über die Ursache dieser Veränderung gesprochen wurde. Von der Stunde an, wo er heimgekehrt zu seiner Frau gesagt hatte: Ich möchte von heute an in meinem Arbeitszimmer auf dem Sofa schlafen, von der Stunde an, wo sie darauf ohne Frage geantwortet hatte: Ja, Hans – von diesem Augenblick an wurde alles anders. Jetzt war sie es, die öfter schwieg, er, der öfter redete. Gingen sie gemeinsam, richtete er seinen Schritt nach dem ihren. Kam er nicht rechtzeitig fort vom Feld, schickte er einen Boten, damit sie nicht warten sollte. All dies aber hätte mehr für sie und weniger für ihn bedeutet, wenn sie gespürt hätte, es gälte ihr. Aber all diese kleinen Rücksichtnahmen, ein sanfteres Sprechen, ein rasches Streicheln über ihr Haar, es galt ja nicht ihr. Sie war etwas geworden, durch das er nun nur noch hindurchging. Ein Gefäß, in das er sein Wesen gefüllt hatte: nur noch die Mutter seines Kindes. Sie sitzt da, hell stehen die Haare um die helle, klare Stirn, der Traum von der Freundin und von der Geliebten ist ausgeträumt. Sie ist die Gebärerin seiner Kinder geworden. Hätte sie ein bißchen |368| mehr Schärfe in sich, wäre sie ein reines Metall und nicht eine Legierung, zu der alle hinzutaten und von der alle fortnahmen – und am meisten er. Sie könnte vielleicht das Kind hassen, aber – wie stets bei ihm – senkt

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