Wir hatten mal ein Kind
älteren Kollegen gesagt haben: Gottlieb, du wirst es noch erleben, und du wirst noch an uns denken, wenn du erst einmal nicht mehr im Dienst bist. Jetzt bist du ein großer Herr und hast zwanzig Arbeiter unter dir und liegst den ganzen Tag in deinem kleinen Laubfrosch von Auto auf der Landstraße. Und wenn du nach Haus kommst, ist alles schön in Ordnung. Aber wenn du erst einmal pensioniert bist, dann werden dir schon die Augen übergehen, von wegen großer Herr und Zuhause. Und du wirst die Pensionskrankheit kriegen, wie wir alle.
Und ich Dämlack habe noch gesagt und gelacht: ich habe meinen Gartenfimmel, und ich freu mich schon darauf. Und |509| ich zieh ganz ins Einsame, aber wo Wasser ist, denn den Angelfimmel hab ich noch dazu …
Na, und liebe gnädige Frau, Sie sitzen hier so schön im Gras bei mir und an haben Sie auch so gut wie nichts und zittern tun Sie auch. Aber erzählen muß ich es Ihnen jetzt doch, was Sie da angerichtet haben, als Sie mich in all Ihrer Herzensunschuld aus der Bude gezogen und mir das Leben wiedergeschenkt haben – und was ich damit anfangen soll, das weiß ich beim besten Willen nicht. Aber das ist wohl so Frauenart: Leben geschenkt, und nun sieh, was du damit machst …
Sie wollten mir von der Pensionskrankheit erzählen, unterbrach Christiane den haltlos Redenden. Halt, trinken Sie erst noch mal einen Schluck Wasser.
Ja, danke auch schön. Richtig, die Pensionskrankheit, über die ich gelacht habe – und keine sechs Wochen, daß wir hier draußen so recht in unserem Eigenen und in unserer Gemütlichkeit saßen, da hatte sie mich. Und von Gemütlichkeit konnte nicht mehr die Rede sein. Es ist gar nicht auszudenken, gnädige Frau, wenn man sein Lebtag seine Arbeit gehabt und sein Kommando geführt hat – und bei den feinsten Leuten bin ich in den Wohnungen gewesen und habe mit ihnen geredet, wie ich jetzt mit Ihnen rede, und habe in Riesengeschäftshäusern und Schlössern die Telefonapparate legen lassen – und plötzlich sitzt man da und ist genauso gesund und rüstig wie vor sechs Wochen, und nichts mehr zu tun und nicht einmal ein Telefon in der Wohnung, das mal klingelt …
Er setzte sich zurecht. Nein, jetzt, wo er einmal reden durfte, sah er gar nicht mehr so jammervoll aus, Christiane freilich …
Und wenn man morgens aufwacht, und sonst hat man’s eilig gehabt in den Dienst, und wenn man’s nicht eilig gehabt hat, weil man nämlich zu früh aufgewacht ist, dann hat man sich’s zurechtgelegt, wie man die Leitung am besten zieht, daß man den Leuten die Kosten spart. – Und plötzlich |510| nichts. Jawohl, der Garten – aber keiner hat einen getrieben, und es ist ganz egal gewesen, ob man was tut oder nichts tut. Und das Angeln, auf das ich mich so gefreut hatte – aber wenn man immer angeln kann, macht es auch keinen Spaß mehr.
Nein, das tut es nicht, sagt Christiane sehr aufmerksam, und ihr ist beinahe so, als rede der alte Telegrafenbauoberinspektor von ganz etwas anderm.
Schließlich ist es mir so gewesen, als wäre das alles Quatsch, was ich tue. Als täte ich es bloß, um die Zeit hinzutrödeln, bis ich sterbe. Als könnte ich ebensogut im Bett liegenbleiben – und was das für ein grausiges Gefühl ist, Frau Gäntschow, das kann ich Ihnen gar nicht beschreiben.
Doch, doch, sagt sie.
Das war also die Pensionskrankheit. Das war die Pensionskrankheit, sagt Haase und setzt sich ganz gerade. Aber das ist nur ein ganz kleines Stück von ihr, und die Hauptüberraschung stand mir noch bevor. Denn die Hauptüberraschung war – er flüsterte es nur mit einem scheuen Blick zum Haus – die Hauptüberraschung war meine Frau. Was das ist, und was man da erlebt, gnädige Frau, das kann ja wohl kein sterblicher Mensch sagen und sich ausdenken. Was meine Frau und ich sind, wir sind ja nun gut fünfunddreißig Jahre verheiratet. Und wenn es auch keine berühmte Ehe gewesen ist, denn wir sind alle beide nie Turteltauben gewesen – so ist’s doch eine richtige Ehe aus dem Dutzend gewesen, und keine schlechte dazu! – Aber was nun losging, das kann ich Ihnen gar nicht erzählen. Und Sie können es mir glauben oder nicht: nach fünfunddreißigjähriger Ehe habe ich meine Frau überhaupt noch nicht gekannt und keine blasse Ahnung gehabt, wer und was sie eigentlich ist. Aber nun ging ja das Kennenlernen los. Und wir hatten plötzlich beide alle Zeit dafür und saßen ja auch den ganzen Tag schön dicht beieinander. Und von morgens bis abends ging das: Tu das,
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