Wir hatten mal ein Kind
wirklich war. Gäntschows Bett jedenfalls war noch immer leer. Und nun hörte sie das Geräusch wieder, laut und deutlich durch das offene Fenster vom Garten her, ein schauerliches, krächzendes, hartes, unmenschliches Geräusch.
Sie sprang mit einem Satz aus dem Bett, und ohne sich zu besinnen, hob sie die Beine über das Fensterbrett, sprang in das Gartengras und stand lauschend da. Jawohl, das Geräusch kam von der kleinen Gerätebude am Ende des Gartens, und schon lief sie, so schnell sie nur konnte, zu der Bude. Und ohne zu zögern, stieß sie die Tür auf, horchte in den dunklen Raum und fragte atemlos: Ist hier jemand?
Niemand antwortete. Aber aus der Ecke krächzte und rasselte es so schauerlich, daß sie fühlte, wie sich ihre Kopfhaut zusammenzog und ein Rieseln über ihren Rücken lief. Aber sie bezwang sich, und trotzdem sie ununterbrochen an Lüttekind in ihrem Schoß denken mußte (»Ich darf mich ja nicht aufregen«), trat sie in die Bude hinein, und da sah sie nun freilich eine dunkle Masse in der Ecke liegen …
Herr Haase, fragte sie halblaut, um Gottes willen, Herr Haase, was ist denn bloß?
|507| Aber die Masse krächzte und rasselte nur weiter. Und so ging sie mutig heran, fühlte, bekam etwas zu fassen, was ein Arm war – und nun stemmte sie sich gegen den Boden und zog und schleifte das Paket zur Tür in das Morgenlicht.
Warum sie aber so handelte, das wußte sie beim besten Willen nicht, wenn es nicht das Geräusch war. Denn dieses fürchterliche, krächzende, ächzende Geräusch hatte fast nichts Menschliches mehr und ließ den Gedanken an eine bloße harmlose Betrunkenheit gar nicht erst aufkommen.
Als da nun ihr Wirt im Morgenlicht vor ihr lag und sie sich das blaurote Gesicht und die hervorgetretenen, verdrehten Augen und die gräßliche, schwarzblaue Zunge ansah, und das krächzende Atmen klang noch viel schlimmer im Garten als in der dunklen Bude, da war sie nun freilich in der größten Versuchung, auf der Stelle kehrtzumachen und die Männer ihre Dummheiten allein ausfressen zu lassen. Ein Ungeborenes hat mehr Recht als ein verkorkstes Großes.
Aber sie bezwang sich und drehte den schrecklichen alten Kopf zurück und sah den Strick um den Hals, der so schauerlich eingeschnitten hatte. Und sie sah auch, daß der Strick abgerissen war, die Schlinge aber sich so fest zugezogen hatte, daß er sie in seiner halben Bewußtlosigkeit nicht wieder hatte aufbekommen können. Sie machte sie los und stand einen Augenblick unentschlossen neben dem Besinnungslosen, und dann lief sie eilig in das Haus zurück, kletterte wieder durch das Fenster und holte Eau de Cologne und Wasser und eine Creme. Aber bei alldem überlegte sie ganz klar, ob sie Frau Haase nicht doch lieber wecken sollte, und kam zu dem Entschluß, daß die besser nichts von alldem erfuhr. Sonst würde Herr Haase vor lauter Vormundschaft und Beaufsichtigung wohl nie wieder eine ruhige Stunde in seinem Leben bekommen.
Und sie wusch ihm das Gesicht mit Kölnisch und fettete ihm den Hals ein – »wie zittern meine Finger, ach Gott, das Lüttekind« – und wenn sie jetzt grade ihren Johannes Gäntschow dagehabt hätte, so wäre ihm wohl einiges gesagt worden. |508| Denn daß Hannes mit all diesem hier zu tun hatte, daran zweifelte sie nicht einen Augenblick.
Wie der alte Mann allmählich unter ihren Händen wieder ins Leben kann und sich in seinem eigenen Baumgarten zweifelnd umsah, als könnte er es gar nicht glauben, und wie er dann sie ansah, die da in ihrem Pyjama in der frischen Morgenluft ein wenig zitternd neben ihm hockte – und nicht nur von der Morgenluft zitternd – und wie er dann die Hände vors Gesicht schlug und fassungslos zu weinen anfing, und sie hatte ihn zu trösten …
Und hätte selber jeden erdenklichen Trost gebraucht, aber keiner war weit und breit zu sehen, da hatte sie doch einen weißglühenden Zorn in sich, und sie war in dieser Minute schon gar nicht mehr im Zweifel darüber, daß der Karren so verfahren war, daß kaum einer ihn aus dem Dreck holen könnte – und ER schon gar nicht!
Sie hörte sich das Schluchzen an, und sie redete ihm gut zu. Und sie hörte auch gut zu, wie der pensionierte Telegrafenbauoberinspektor Haase zu berichten anfing von dem Nachmittag und von der Nacht. Aber nicht nur davon, sondern eigentlich von seinem ganzen Leben, das gar nicht so schlecht gewesen war, bis …
Ja, gnädige Frau, bis ich eben pensioniert wurde. Da reichen ja keine hundertmal, daß mir meine
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