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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind
Autoren: Hans Fallada
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Hofkatzen gewährt hatte, kehrten zurück in die wogende |66| Blätterfülle. In der Dornhecke hatten sie ihre Nester und alle Starkästen waren besetzt.
    Und die Bienen hatten hier ihr Reich. Sie habe ich bisher vergessen. Ungefähr in der Mitte des Gartens, rechts vom Hauptweg, steht das Bienenhaus, aus Lehmfachwerk erbaut, mit Rohr gedeckt, gut mannshoch. Nach Sonnenaufgang hin ist es offen. Hier stehen in drei Reihen übereinander die gelben, aus gedrehten Strohseilen gefertigten Bienenkörbe. Man sieht sie sonst kaum mehr, sie sind als unwirtschaftlich abgeschafft, denn um die Honigernte zu bekommen, muß man das ganze Volk töten. Doch hier stehen noch die Strohkörbe. Den Gäntschows bedeutet es nichts, daß ihnen die Bienen nichts einbringen. Sie töten kein Volk. Jedem lassen sie über Winter die ganze Honigernte. Und so schwärmen die starken fröhlichen Völker durch den Garten aus und ein, nach den Lindenbäumen, nach den Bohnenfeldern, nach allem, was blüht.
    Steht der Sommermittag über dem Garten, scheint das Summen und Brausen anzuschwellen zu einem tönenden Schwingen der Himmelskuppel selbst. Der Wind schmiegt sich ein in die Blätter. All das Grün zittert im Licht. Auf der Erde ist Gold über Gold verschüttet. Die kleinen Vögel schlagen einmal mit den Flügeln und sitzen wieder still. Und der kleine nutzlose Garten schaukelt wie eine goldgrüne Schaukel summend im Lichte. O selig! – Man hat eine glückliche Hand oder man hat keine. Schon Hedwigs Vater, der olle Kaptein Düllmann, hatte keine. Die Leute nannten ihn den alten Mann, der immer ut de Tüt kommt. Jemand, der aus der Tüte kommt, kann nicht wissen, was unterdes außerhalb seiner Tüte geschehen ist. Kapitän Düllmann wußte das auch nie. Jedem kann die Frau früh sterben, manchem Kaptein ist schon ein Dampfer abgesackt, aber bei Kaptein Düllmann wurde das alles erst dadurch recht schlimm, daß er stets aus der Tüte kam, wenn was geschah, ganz fassungslos aus der Tüte kam. Man erzählte von ihm, daß es damals, als seine Maria Kathrein vor Pillau im dicken Nebel mit einem Schlepper zusammenstieß |67| und sank, daß er damals, als alles Hals über Kopf in die Boote ging, denn die Maria Kathrein sackte in einem gräsigen Tempo weg, daß er also damals in höchster Leibesnot den Schiffsjungen, der grade ins Boot springen wollte, festgehalten und ihm ernst, aber mit Tränen in den Augen, den Auftrag gegeben habe, doch seine lütten leewen Kaktusse noch en beten zu begießen, weil daß sie vorige Woche schon kein Wasser gekriegt hätten.
    Sicher ist diese Geschichte – der Schiffsjunge soll dabei auch noch um ein Haar versoffen sein – erstunken und erlogen, denn wäre sie wahr gewesen, so hätte ihm das Seeamt sicher nicht sein Kapitänspatent gelassen. Aber sie paßte wunderschön auf Kapitän Düllmann, wie ein Dutzend Geschichten mehr noch, die von ihm im Schwange waren. Johannes Gäntschow erinnerte sich sein ganzes Leben lang sehr gut an diesen Großvater, der soviel Spannung in die langweiligen täglichen Mahlzeiten brachte. Da saß der dicke blonde Mann mit seinem blaßblonden Schnurrbart, der wie ausgelaugt aussah, mit seinen blaßblauen Augen, die ganz ausdruckslos guckten, und aß fleißig seine Bohnensuppe oder was es eben gab. Aber mitten im Essen – Johannes spannte schon – seufzte er plötzlich aus tiefster Brust kummervoll auf, der Löffel blieb auf halbem Wege zum Munde halten. Bewegungslos saß er da, und nun konnte man ihn ansprechen, soviel man wollte, Grotvadding tat keinen Mucks. Dann, nach einer langen Weile, nach drei Minuten, nach fünf Minuten, nach sieben Minuten, in denen er stocksteif vor sich hingesehen hatte, seufzte er wieder tief auf, sah um sich wie ein Schläfer, der erwacht, entdeckte den Löffel in seiner Hand. Er seufzte noch einmal und fing wieder mit Essen an. Und immer fand sich einer, trotzdem das eigentlich streng verboten war, der den Kapitän Düllmann fragte: Großvater Hanning, was war denn?
    Dann seufzte der alte Mann noch einmal und sagte immer noch ganz benommen: Da is eben eine schwarze Wolke über meine Seele gegangen, mein liebes Kind.
    |68| Derart war Kapitän Düllmann und derart wohnte er vier oder fünf Jahre auf dem Gäntschowschen Hofe. Als nämlich die Maria Kathrein abgesackt war, gab Kapitän Düllmann die Seefahrerei auf. Er besaß ein hübsches kleines Häuschen an der Dampferlände in Dreege – aber warum sollte der alte verwitwete Mann in das leere Häuschen
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