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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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sich entschließen müssen, sich stundenlang zu seinen Schülern zu setzen, dazu aber hatte er jetzt am Wochenende, wo die Predigt gemacht werden mußte, gar keine Zeit.
    Was habt ihr nur, Kinder, fragte er, habt ihr euch gezankt?
    Ich zanke mich nie, Herr Marder, sagte Christiane sehr von oben herab.
    Die Kühe haben sicher noch kein Futter, Herr Superdent, sagte Johannes, die brüllen schon mindestens seit ’ner Stunde.
    |112| O Gott, ja! Also, Kinder, nicht wahr, ich bitte euch, einen Augenblick, ich muß mal schnell …
    Er huschte hinaus, und die beiden saßen wieder allein. Christiane nahm ihr Buch vor, Johannes sah sie von der Seite an, etwas scheu, und stand dann rasch auf, als er merkte, sie war entschlossen, ihn wieder anzusehen. Er betrachtete ein Bild an der Wand: »Heimkehr des verlorenen Sohnes«, die Hände in den Taschen.
    Johannes, sagte eine Stimme hinter ihm.
    Er bohrte die Hände tiefer ein.
    Hannes, klang es dringlicher.
    Er zog die Schultern hoch und fing an zu pfeifen.
    Hannes!! Das war schon beinahe ein Befehl.
    Er drehte sich um, sah sie kühl an und pfiff melodisch weiter (was sehr schwer war). Dann wandte er sich einem zweiten Bild zu: »Gott gibt Moses die Gesetzestafeln«.
    Du hättest ganz gut in unserm Schlitten mitfahren können.
    Keine Antwort.
    Warum bist du denn rausgesprungen?
    Keine Antwort.
    Wegen der alten Geschichte vom Pferdeschlachten? Papa hat mir das erzählt. Ich finde es einfach dumm.
    So.
    Oder weil mein Großvater deinen Großvater beim Wildern erwischt hat?
    Schiet!
    Wie?!
    Schiet! Dein Großvater hat gewildert!
    Mein Großpapa? Sie lachte so überlegen, daß er am Platzen war.
    Warum hat er denn sein Gewehr hergegeben, die Bangbüx? Ich hätte mein Gewehr nie hergegeben.
    Sie wurde auch etwas rot, aber sie bezwang sich. Das konnte sie, wie gesagt, ihr Papa war sehr oft krank und dann launisch.
    Du würdest eben nie wildern gehen, sagte diese Evastochter.
    |113| Er sah sie wutfunkelnd an. Natürlich würde ich wildern gehn!! Gerade würde ich das.
    Nein, nie würdest du etwas Schlechtes tun, sagte sie.
    Immer! Immer gerade das Schlechte, schrie er wütend. Heute nachmittag noch gehe ich bei euch wildern. Und wehe, wenn mir einer von euch in den Weg kommt –!
    Er machte eine drohende Gebärde. Er sah lächerlich und schrecklich zugleich aus. Sie sah ihn ein bißchen amüsiert an, wie man ein kleines Tier betrachtet, das sich abstrampelt. Also schön, sagte sie. Ich werde Papa sagen, daß ich dir die Erlaubnis zum Jagen auf unserer Flur gegeben habe – kannst du überhaupt schießen?
    Die letzte Frage war rein rhetorisch. Sie setzte sich in ihrer Sofaecke zurecht und nahm endgültig ein Buch vor. Er war so erschlagen, daß er mindestens zwanzig Sekunden nichts sagen oder tun konnte. Er starrte sie nur an. Aber sie sah ihn nicht wieder an. Sie las geruhig, nur ihre Backen waren ein wenig gerötet.
    Zum Donnerwetter! schrie er plötzlich und rannte zum Fenster. Gerade kam der Superintendent über den Hof ins Haus. Herr Superdent, schrie er aus dem Fenster, ich mach Schluß, ich mach Feierabend, ich geh nach Haus.
    Der alte Marder sah erstaunt zu dem Fenster hinauf und machte eine abwehrende Handbewegung. Dann faßte er sich an die Stirn, als habe er nun alles begriffen, und schoß in das Haus. Der Junge aber, der wußte, er mußte ihm auf der Treppe begegnen, war mit einem Schwung über die Fensterwand und kletterte wie eine Katze am Spalier hinunter. Er sah nicht zu ihr hinauf, die zu ihm herunterrief. Es war seine zweite Flucht vor ihr binnen einer Woche, und er wußte das ganz gut. Er rannte wie ein Amokläufer über den Hof und verschwand durch die kleine Pforte, die zu Kirche und Friedhof führte.
    Er hatte dreiundeinhalb Stunden vor sich, bis der Unterricht offiziell zu Ende war, und es war ein bitterkalter Wintertag. Er dachte einen Augenblick nach, rannte dann hinter dem |114| Dorf herum und schlug den Weg nach Dreege ein. Ihm war eingefallen, daß er im Hafen mal nachsehen könnte, ob da ein Dampfer lag. Am Hafen würde sich die Zeit am besten vertreiben lassen, und er blieb warm. Er war sich gar nicht klar darüber, wie die Sache nun weitergehen sollte, er würde mit seinem Vater, mit dem Superintendenten, mit allen Leuten Krach kriegen, er würde wieder auf die Dorfschule müssen, Doofschule hatte er noch gestern zu Nachbar Lindemanns Jürgen gesagt. Aber vorläufig mußten erst einmal diese dreieinhalb Stunden untergebracht werden. Er war sich vollkommen

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