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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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den Fiddes und den Gäntschows. Der Graf überlegte, ob er ihr die alten Geschichten erzählen sollte, und beschloß, es vorläufig lieber zu lassen. Nach einem Vormittag Bekanntschaft schien ihm seine ruhige Christiane schon hinreichend angetan. Nun, du wirst ja hören, was er weiter sagt.
    Christiane sah ihn nachdenklich an. Schön, Papa, sagte sie, und jetzt muß ich mich hinsetzen und büffeln.
    Büffeln? fragte der Graf erstaunt. Ich dachte, wir wollten schnell noch einmal vor Dunkelwerden zum Wasser sehen, ob ich nicht ein paar Gänse schießen kann.
    Heute nicht, entschied sie. Ich muß wirklich jetzt mehr arbeiten, wo ich einen Mitschüler habe.
    Sie verschwieg, daß sie nicht so sehr einen Mitschüler, wie einen Schüler bekommen hatte. Denn von Superintendent Marder waren nicht mehr als abschließende, aber eilige Aufklärungen zu erhalten.
    Das ist nicht schlecht, dachte der Vater, das jedenfalls ist nicht schlecht, wenn sie durch den Bengel ehrgeizig wird. Nun, man muß abwarten.
    Drei oder vier oder fünf Tage schien auch alles gutzugehen. Johannes sprach nicht mehr von Schmied werden und Bauer, sondern war bereit, sich mit all den neuen Dingen in den Büchern zu beschäftigen. Er hatte einen wirklich seit vielen Generationen ausgeruhten Kopf, und sein Gedächtnis fraß den Lernstoff in sich herein wie eine Dreschmaschine die Roggengarben. Aber dann kam es so, daß Neuschnee fiel, einen ganzen Vormittag lang. Am Morgen war sie noch im Jagdwagen zur Superintendantur gefahren, als sie aber |108| mittags nach Schulschluß vor die Tür traten, fuhr Eli mit dem Schlitten und zwei fröhlich klingelnden, aufgeregt tänzelnden Rappen vor.
    Au fein! sagte sie aufgeregt. Ist die Schlittenbahn gut, Eli? Komm, steig schnell ein, Hannes, fahr ein Stück mit!
    Und dieser Schlitten, ein großer weißer hölzerner Schwan, zwischen dessen Flügeln sie sitzen durften, auf roten Polsterbänken, den Eli auf einem kleinen, schwebenden Bänkchen hoch hinter und über sich, mit den aufgeregten, dampfschnaubenden Pferden vor sich – dieser Schlitten war ja ein solches Wunder, daß er sich überrumpeln ließ und neben ihr saß, er wußte nicht, wie es gekommen war.
    Schon ging es fort. Nichts mehr von klapperndem Kopfsteinpflaster – in einer schönen Kurve, in die sich die Pferdeleiber richtig einschmiegten, ging es über den Marktplatz in die enge Dorfstraße hinein. Still unter ihren Schneebuckeln saßen die Häuser, und die Leute blieben stehen und starrten und grüßten.
    Plötzlich wurde Johannes hellwach. Da war eben der Ernst Menz stehengeblieben und hatte den Schlitten gegrüßt. Als er aber neben Christiane den Johannes Gäntschow entdeckt hatte, war sein ganzes Gesicht in ein breites und, wie es schien, höhnisches Grinsen auseinandergelaufen.
    Plötzlich empfand er mit einer peinigenden Klarheit den Gegensatz zwischen den reinlich gebürsteten roten Polsterbänken, dem fleckenlos weißen Schwan, dem klingelnden Geschirr mit dem blitzenden Neusilberbeschlag und seinem alten, schmuddligen, geflickten Anzug, den schon Vater und Alwert getragen hatten und der noch dazu häßlich geflickt war. Und als nun auch noch der Müllersohn Adi Dittmann stehenblieb, breit Front machte, die Mütze zog und irgend etwas rief, das im Schellengeklingel unterging, aber sicher etwas Höhnisches gewesen war, als Christiane auch noch sagte: Ist es nicht schön? und ihn strahlend mit ihren dunklen Augen ansah, da schrie er ihr beinah in das erschreckende Gesicht: Anhalten, sofort anhalten!
    |109| Im ersten Augenblick begriff sie nichts von seinen Gefühlen. Sie starrte ihn verständnislos an, aber da war er auch schon aufgesprungen, hatte sich umgedreht und den Kutscher mit weißem, zuckendem Gesicht angeschrien: Anhalten sollen Sie, Eli, anhalten, verstehen Sie wohl! Eli war nun freilich ein viel zu vornehmer Kutscher, um Befehle von so einem Bauernjungen zu hören, Befehle in solchem Ton noch dazu. Und für alle, außer seiner Herrschaft, war und blieb er zudem »Herr Wacker«.
    Eli gab dem Sattelpferd einen Schmitz mit der Peitsche, ließ sie einen Augenblick auf dem Rücken des Handpferdes tanzen – und in beschleunigtem Tempo fuhren sie nun aus dem Dorfe heraus, die schöne, glatte Landstraße nach Fidde entlang.
    Aber dem Jungen waren Eli und Tempo und Christas Fragen ganz egal. Ihm war, als sei er übertölpelt worden, die grinsenden Gesichter, sein Bruder Alwert, ol Gäntschow, de Supkopp – wie ein gefangenes wildes Tier sah er

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