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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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auf die rasch vorübergleitende Chaussee, hörte kein Wort von dem, was Christa sagte, riß sich los von ihr – und warf sich mit aller Gewalt, die Hände voraus, auf die Fahrbahn, die ihm immer glitzernder und weißer entgegenkam. Er landete trotz der vorgestreckten Hände wie eine Padde auf dem Bauch, rollte sich ein paarmal um, schlug mit dem Kopf gegen einen Stein, ein ganzes Feuerwerk von Rot, Gelb und Schwarz ging in seinem Kopfe los. Wie aus weiter Ferne hörte er das beruhigende Hoho! des Kutschers zu den aufgeregt schnaubenden Pferden, die ängstliche, sehr laut rufende Stimme Christas. Nun wird sie wohl auch noch kommen und ihn aufheben und bedauern! Er sprang hoch, sah um sich: sie waren erst drei-, vierhundert Meter aus dem Dorf, er brauchte nur über den Chausseegraben in die Tannenschonung von Rickmers, da fanden sie ihn nie …
    Er warf sich in den Graben, alle Glieder schmerzten, der Kopf brummte und summte, er zog sich an einem Tannenzweig hoch, kroch mühsam durch das enge Gestrüpp. Der |110| Schlitten, der gewendet haben mochte, klingelte wieder näher. Hier kriegen sie mich nie. Und nach all dem Zorn erfüllte ein seltsames Gefühl von Befreiung, ein seliges Unabhängigsein die Brust. Mochten sie doch alle … mochten sie doch alle … ach geht … Ich, Johannes Gäntschow …
    Ein echter Gäntschow, sagte auch der Papa, ganz wie die Gäntschows sind: unbeherrscht, jähzornig, eigensüchtig.
    Christiane hatte dem Vater gar nichts sagen wollen, sie hatte sofort nach ihrer Heimkunft den alten Doktor Westfahl, den einzigen Arzt der Halbinsel, angerufen und gehört, daß kein Johannes Gäntschow tot, mit einem Schädel- oder Beinbruch in seine Behandlung gekommen war. Die haben Pferdsknochen, kleine Baroneß!
    Aber der untadelige Kutscher Eli hatte dem Grafen Meldung von diesem Zwischenfall gemacht. Eine Giftkröte, wenn ich so sagen darf, Herr Graf, hat mich angeschrien, Herr Graf schreien nicht so. Ich bin aber schuldlos, wenn ihm was passiert ist … Mit tiefer Verachtung: Solche Leute sind ja nie in einer Unfallversicherung …
    Ein echter Gäntschow, sagte der Graf zu seiner Tochter. Weißt du, dein Großvater hat mal einen Gäntschow, es muß der Großvater von diesem Jungen gewesen sein, direkt beim Wildern auf unserer Flur getroffen und hat ihn ganz höflich deswegen zur Rede gestellt. Dein Großvater war immer sehr höflich. Und da ist doch dieser Gäntschow, warte einmal, Malte, ja richtig, Malte hieß er, derart wütend geworden, wohl aus Beschämung, daß er dem Großpapa, als sei der der Wilderer, Flinte, Jagdtasche und Patronen beschlagnahmt hat. Der Graf lachte. Papa war ja so ratlos! Was mache ich nur mit dem Menschen? fragte er immer wieder. Wildert und behandelt mich als Wilderer!
    Aber ich habe ihn doch nicht beschämt, Papa, sagte Christiane verständnislos.
    Nein, du nicht, du sicher nicht, sagte der Papa sanft. Aber da ist noch diese uralte Geschichte vom Kehlteich. Er erzählte sie ihr jetzt doch und schloß: Und wie der Junge da nun in |111| unserem Schlitten gesessen hat und irgendein Bauerntöffel hat ihn sicher angegrinst, da ist ihm wohl erst eingefallen, bei wem er da eigentlich zu Gaste fuhr – nein, die Gäntschows sind unberechenbar, im Grunde sind sie zehnmal stolzer als die Grafen Fidde.
    Aber Johannes ist bestimmt nicht so, sagte Christiane. Bitte, Papa, laß noch mal anspannen, und ich fahre zu ihm und erkundige mich.
    Ich würde es nicht tun, Christa, sagte der Vater. Christa, ich würde es nicht tun. Gerade nicht bei einem Gäntschow. Erkundigen können wir uns auch ohne das. Ich werde einmal den Doktor Westfahl anrufen …
    Da mußte Christiane denn gestehen, daß sie das schon getan hatte. Graf Fidde sah seine Tochter lange an. Er entdeckte plötzlich ganz neue Seiten an ihr. Ich will und werde dir über deinen Umgang nie Vorschriften machen, Christa, sagte er, aber ich rate zur Vorsicht. Zu äußerster Vorsicht und Zurückhaltung.
    In den nächsten Tagen mußte Superintendent Marder leider die Beobachtung machen, daß der so angenehm begonnene Selbstunterricht der beiden Kinder schon wieder zu Ende war. Johannes Gäntschow saß blaß, mit langen, schmalen Lippen, übrigens auch mit einer kräftigen Beule auf der Stirn, an seinem Platz und beschäftigte sich ganz entschieden überhaupt nicht mit seinen Büchern. Christiane aber, auf dem schwarzen Wachstuchsofa, las wohl, schrieb auch was, gab aber womöglich noch verdrehtere Antworten als der Junge. Er hätte

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