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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Geld ist bei den Bauern, und ihnen Geld anbieten, das Geld direkt ins Haus zwängen und drängen und dafür die ganze Ernte des nächsten Jahres kaufen, für – ach, man mag es nicht sagen, welches Schandgeld! Einen Ziegenbock |131| hört ihr meckern auf der ganzen Insel, aber eure eigene Schande hört ihr nicht schreien zum Himmel! Ein guter Satz für die Predigt am nächsten Sonntag, wahrhaftig – worüber wollte er doch predigen? Er erinnert sich nicht mehr genau, aber er würde gut hineinpassen, das würde er.
    Der rasche, wieselige Superintendent ist plötzlich ein breiter, schwerer Mann geworden, ein Kämpfer, er steht langsam auf und geht durch das Lokal. Auf den Flur. Wenn er nur wüßte, wo hier die Toiletten sind. Er weiß bloß, daß sich sonst die Gäste auf den Marktplatz stellen; wenn er beim Mondschein nachts ans Fenster der Superintendantur trat, hatte er oft den ganzen kläglichen Aufmarsch vor Augen. Auch eine Schande, wieder eine Schande … Er steht zögernd auf dem Gang, er könnte schnell einmal zu sich hinüber, aber man läuft nicht als Geistlicher nachts aus und ein in dem Gasthaus. Zögernd geht er nach hinten, den schlecht beleuchteten Gang hinunter. An seinem Ende, hinter einer Klapptür, ist ein ganzes Durcheinander von verschiedenen Türen. Alle fast dunkel. Eine Treppe führt da auch nach oben …
    Er steht so da. Es ist still im Haus. Nur manchmal hört er den auftrumpfenden Knöchelschlag eines Skatspielers auf dem Holztisch. Er öffnet aufs Geratewohl die nächste Tür und sieht in eine spärlich beleuchtete, düstere, verräucherte Küche. Am Herd sitzt ein junger Mensch mit langen, blonden Haaren. Er hat ein Mädchen auf dem Schoß, dessen Kopf er weit zurückgebogen hat. Er küßt sie, sie küßt ihn. Der Geistliche hört das Geräusch des Küssens. Er will sich lautlos zurückziehen, da hat das Mädchen ihn gesehen, es stößt einen leisen, hellen Schrei aus und fährt hoch. Der Bursche schaut auch nach der Tür, in seinem Gesicht liegt ein Ausdruck aus Wut und Ertapptheit.
    Entschuldigen Sie, sagt der Superintendent, wo sind hier die Toiletten?
    Über die Treppe, sagt der Hausdiener mürrisch und sieht den Geistlichen böse an.
    Der steigt die Treppe hinauf. Plötzlich bleibt er stehen. |132| Plötzlich hört er die Stimmen der Leute in der Gaststube so laut, als säße er zwischen ihnen. Er sucht. Ein matter Lichtschein liegt auf seinem Beinkleid, er bückt sich, da ist eine Lüftungsklappe von der Gaststube nach der Treppe und diese Klappe steht offen. Er hört Stimmengewirr …
    Ziegenbock, sagt einer und ein brüllendes Gelächter platzt los.
    Er richtet sich steil auf, nein, er will nicht lauschen, das ist unter seiner Würde, und er steigt rasch die letzten Stufen der Treppe empor.
    Oben liegt ein langer Gang vor ihm. Türen, Türen. Zehn oder zwölf. Die Gast- und Privatzimmer des »Schwedischen Hofs«. Er geht leise über den grellfarbenen Kokosläufer und blinzelt nach den Türnummern. Hinter einer Tür hört er reden, das ist die Stimme des Wirts, und das ist die weinerliche Stimme der Wirtin. Aber jetzt weint sie wirklich. Reese sagt heftig und böse etwas, und nun ruft die Frau schluchzend: O Gott, ich halte das nicht mehr aus! Was soll denn bloß in aller Welt werden mit mir …
    Der Superintendent geht hastig den Gang zu Ende. Seine Stimmung hat sich in den letzten Minuten wieder ganz verändert, nichts mehr von Kampflust, nur Düsternis, Mißmut, ja etwas wie Verzweiflung.
    Keine Tür deutet auf das hin, was er sucht. Wieder geht er den Gang zurück. Er geht an der Tür vorüber, dreht um, als käme er eben erst von unten, und ruft laut: Herr Reese, bitte! Herr Reese!
    Der Kopf des Wirtes fährt wild aus der Tür – und sein Gesicht glättet sich sofort, als er den Geistlichen sieht: Bitte, Herr Superintendent?
    Wo sind denn hier die Toiletten, Herr Reese?
    Auf dem Hof, Herr Superintendent, auf dem Hof!
    Der Superintendent steht einen Augenblick schweigend. Er versteht den Hausdiener nicht – ist denn alle Welt heute böse? Dann sagt er: Bitte, zeigen Sie mir den Weg.
    Aber gewiß doch, Herr Superintendent, sofort. Hier, bitte, |133| ja. So weit wie in der Superintendantur sind wir noch nicht, einfach auf dem Hof, keine Wasserspülung.
    Was macht denn eigentlich Ihre Frau?
    Oh, danke der Nachfrage, Herr Superintendent. Alles in Ordnung, alles munter.
    Wollte sie sich nicht operieren lassen? Ich habe mal so was gehört.
    Ach, die kleine Sache – ja, Herr

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