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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Price ihre Migräne hatte und Mademoiselle Tubot Briefe schrieb, stiefelte sie los. Mit einem seltsamen Gefühl der Erleichterung hörte sie das eiserne Parktor hinter sich zufallen. Im Grunde hatte sie gar nichts Besonderes vor. Sie ging zu Besuch auf einen jener Bauernhöfe, wie sie zu Dutzenden im Lande verstreut lagen. Die meisten Menschen auf der Insel wohnten in Bauernhöfen. Es konnte also nichts Besonderes sein.
    Trotzdem ging sie mit einer eifrigen Freude die Chaussee entlang. Sonst ging sie nie außerhalb des Gutes auf die Straße. Sicher, sie sah mit ihrem Vater die Felder an, gewiß, aber dies war etwas anderes, von einem Ort zum andern zu gehen. Von Ort zu Ort fuhr man auf der Insel. Man, also sie, ihr Vater und sie. Gäntschows fuhren sicher nicht.
    Und sie fing wieder an zu grübeln, ob das wirklich sein Grund war, oder ob doch der andere galt, daß er einfach niemanden nah an sich heranlassen wollte.
    Es war ein Tag zu Ende Februar, mit schönem Sonnenschein und klarem, wolkenlosem Himmel. Die Sonne ging erst gegen halb sechs unter, sie hatte alle Zeit, zu den Gäntschows zu kommen, eine halbe Stunde dortzubleiben und war noch bei hellem Tage wieder zu Haus. Wenn sie offen |143| war, war sie auch ein bißchen neugierig, auf seine Eltern, seine Geschwister, aber auch auf den Hof, auf das Haus. Sie kannte nur das Schloß und die Leutehäuser von innen, da war der Abstand ungeheuer groß. Sie dachte sich so etwas wie ein Zwischending zwischen diesen beiden Extremen. Aber vielleicht war auch alles ganz anders, wie sie es nie gesehen hatte.
    Der Schnee pappte, es ging sich mühsam. Seit gestern hatte sich der Wind zum ersten Male wieder gedreht, er kam nicht mehr aus Osten, er kam nun aus Südwest. Die Luft war frisch und feucht, eine Vorahnung des Frühlings. Als sie durch das Dorf Pattchow kam, merkte sie, daß die Kinder sie groß ansahen. Eine Frau, die ein ausgewaschenes Butterfaß vor die Tür stellen wollte, hielt bei ihrem Anblick wie toderschrocken inne, dann machte sie einen tiefen Knicks. Christiane nickte ihr zu, sie freute sich, dann wurde sie bedenklich.
    Bei den Gäntschows war es gekommen, wie es immer gegen Ausgang des Winters kam, wenn die eigentliche Schlachtezeit vorüber war: Frau Gäntschow hatte plötzlich entdeckt, daß sie viel zuwenig Dauerwurst, Pökelfleisch, Speckseiten für die Leutebeköstigung den Sommer über hatte. Der Bauer hatte geschimpft, noch nicht sechs Wochen war es her, daß er seine Frau gefragt und daß sie nein gesagt hatte, da wäre genug. Nun mußten die beiden fetten Sauen daran, die eigentlich für Hypothekenzinsen hatten verkauft werden sollen.
    Am Morgen eines solchen Schlachttages geht es noch immer. Da werden die Schweine gestochen, gebrüht, damit hat die Frau nicht viel zu tun. Aber am Mittag, wenn der Fleischbeschauer da gewesen ist, und die Tiere sind ausgekühlt, fängt der Strom von Schweinefleisch an, sich in das Haus zu ergießen. Neun Zentner Schwein überschwemmen die Küche und alle Stuben. Aus der Küche dringt ununterbrochen der Wrasen des Fleischkessels, ununterbrochen ächzt der Wolf, der das Fleisch für die Dauerwurst zerkleinert, überall stehen Wannen und Tröge mit Fleischstücken, kopflos rennen die |144| Mädchen umher, stellen hier etwas ab, was jetzt die andere schon wieder fortträgt.
    Unerschüttert im Tumult waltet der Hausschlächter, gibt knappe oder gar keine Antwort, ein Junge wird ins Dorf gehetzt, weil das Salz nicht reicht, ein Mädchen wird ihm nachgeschickt, um noch zweieinhalb Meter Därme zu holen, runde, glatte, trockene.
    Wo ist das Wurstband? schreit Frau Gäntschow verzweifelt. Die ergrauenden Haare hängen ihr wild ins Gesicht, sie steht an der Wurststopfmaschine und hält mit der einen Hand eine eben gestopfte Wurst zu, aus der sofort die Masse wieder herauskommen wird, wenn sie sie losläßt. Wo ist das Wurstband? Eben lag es noch hier. O Gott, kann denn keiner auf den kleinen Willi aufpassen, er fällt ja in die Fleischbalje!
    Ab und an taucht der Bauer schweigend im Gewühle auf, schweigend überschaut er die Sachlage, schweigend langt er sich eine Handvoll fertiges Mettgehacktes aus der Wanne, rollt es zwischen beiden Handflächen zu einer Kugel und vertilgt es. Oder er geht mit seinem Taschenmesser an den Fleischkessel.
    Ist ja noch nicht gar, du weißt, ich will das nicht.
    Der Bauer verschwindet schweigend, ein Stück heißes Fleisch von der einen in die andere Hand wechselnd, aus dem Haus.
    Und überall

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