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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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morgen mit Hunden. Arme Perle, was sie gewartet haben wird!
    Wo hast du sie?
    Im Geräteschuppen vom Gärtner. Na, schlaf ein bißchen schneller, Tia. Jetzt kommen schlimme Wochen.
    Es kamen die herrlichsten, abenteuerlichsten, interessantesten Wochen von der Welt. Man hätte denken sollen, daß der Geruch von Blut, der Umgang mit einem Mörder die halben Kinder hätte schrecken müssen. Aber diese Seite des Abenteuers wurde ganz unwirklich. Den ersten, zweiten Tag vielleicht noch, als alles von dem ermordeten Wilhelm sprach, als das Begräbnis war, die schwarzgekleidete Frau, dachten sie noch daran, wenn sie den Bullenberger sahen.
    Aber das verging. Es war eigentlich nie recht da. Der Bullenberger war ja immer, von jener Eisnacht an, in ihrem Leben gewesen. Er war viel mehr als ein Lebensretter gewesen – so etwas hätte auf Kinder nie einen so dauernden Eindruck gemacht. Nein, er war eine mystische Figur, ein Symbol, irgend etwas aus der Urzeit, das auch noch in ihrem Blute lebte, wenn sie Birnen klauten oder nachts dem Doktor Westfahl das Tierarztschild aus Sagard vor die Tür nagelten und den dicken Kuhdoktor als praktischen Arzt und Geburtshelfer plakatierten.
    Sie waren sechzehn, drei Jahre später, vielleicht nur zwei Jahre später, und er wäre für sie nur ein übler, gemeiner Kerl gewesen. Jetzt aber gehörte er mit irgend etwas doch zu ihnen. Der Mord, der Mord an Wilhelm, der nicht einmal ein Mord war, sondern eine Art Duell – die verängsteten Hühner von Sommergästen hatten alles aus der Ferne mitangesehen – , der Mord war nichts Schlimmes für sie. Ihnen schienen andre Dinge viel schlimmer. Wie zum Beispiel der Wilhelm seinen Ernst gequält hatte, oder wie die Häuslersleute Swattsprack |228| ihren Altenteiler Vater langsam zu Tode hungern und frieren ließen. Oder wie Mutter Brommen ihre Pflegekinder arbeiten ließ. Die kleine siebenjährige Anna war schon ganz krumm vom Wassereimerschleppen.
    Sie verstanden sehr gut, daß der Bullenberger ihnen unbeschwert, listig und vergnügt entgegenblinzeln konnte, und es ging ja nicht nur ihnen, nach dem ersten Jagdtaumel ging es der ganzen Insel so. Nein, nichts von Mord, nichts von blutbefleckten Händen, keine Spur von Abscheu.
    Man kann sich schon einmal den Magen bis zum Ekel verderben, aber deswegen ißt man doch wieder von all den schönen Speisen. Christiane und Johannes – das Einjährige ist gemacht, halblange Kleider und ganzlange Hosen werden getragen, aber für voll wird man deswegen doch noch nicht von den andern angesehen. Tue dies und tue jenes. Das schickt sich nicht. Wo bist du eigentlich so lange gewesen? Dieses Geschwätz, es will noch immer nicht recht verstummen. Wieviel Abenteuer hatten sie nur darum bestanden, weil die Menschen das nicht lassen konnten. Eure Geschöpfe? Eure Kinder? Wir! Wir! Ich, ich! Nicht, wie du denkst, Marder, nicht was du möchtest, Papa, nicht was dir ziemlich scheint, Mademoiselle. In die Felder, über die Heuböden, durch den Wald! Die Steine sind in mir, und die Tiere und die schlechten Menschen mit den guten – und du weißt nichts davon! Jawohl, so soll ich die Gabel halten, weil du sie so hältst, aber ich bin ich – und du weißt nichts davon!
    Und jetzt habe ich den Bullenberger in meinem Rumpelzimmer – ich für mich allein, und wieder weißt du nichts davon. Der Bullenberger – wer ist schon der Bullenberger? Ein Schmierfink zum Beispiel. Was hat Christiane jedesmal für Mühe, daß er sich nur ein bißchen wäscht. An Zähneputzen ist überhaupt nicht zu denken. Aber der Bullenberger ist mein Stück eigen Land, das ihr nicht habt. Ich für mich allein – und darum heiße ich nicht nur, sondern bin die Christiane. Und darum heiße ich nicht nur, sondern bin Johannes Gäntschow.
    |229| Es sind eigentlich seltsam verzauberte Wochen. All diese sieben Wochen, da der Bullenberger oben im Rumpelzimmer seine Schmerzen hat. Mit dem Stachelhalsband freilich, das so gefährlich verwegen aussah, war es schon nach ein paar Tagen vorbei. Nein, sagte der Bullenberger, das brauche ich nicht mehr. Es ist komisch. Daß ich das mit der Schulter erwischen mußte, ist wirklich komisch. Er hatte doch nur so ein Spieldings von Pistole, der Wilhelm, und einen Tatterich hat er in den Pfoten gehabt, daß er auf zehn Schritt ein Scheunentor verfehlt hätte, aber nein, meine Schulter …
    Der Bullenberger sieht die beiden jungen Leute prüfend an.
    Nicht aus Angst, sagt er nachdrücklich, alles, was recht ist, nicht

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