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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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schlief, und die Weintür – aber zu all den Türen kam der Ledergurt, den Fräulein Hannemann immer um den Bauch hatte. Und an dem Ledergurt hingen die Schlüssel!
    Sie hatten wohl schon etwas von Dietrichen gehört, die beiden. Aber bis zum Aufbrechen von Türen waren sie noch nicht gediehen. Gewiß, das hatten sie gemacht: ein unmenschliches Interesse an Kochfragen hatte sie ergriffen. Sie standen bei der Hannemann in der Küche, wenn sie, umringt von Mägden, |234| über den dampfenden Töpfen waltete, und eilte sie in die Mehlkammer, so eilten sie mit, und während Christiane liebreizend mit der Hannemann plauderte, verschwanden bei Johannes zwei Pakete Quakeroats und eine Tüte Zucker.
    Schön, ausgezeichnet, vorzüglich gemacht – aber einmal und nicht wieder! Sie hatte nichts gesehen, die Hannemann? Nein, natürlich nicht. Aber sie hatte einen gallebitteren Zug um den Mund. Und als der Graf aus dem Frühstückszimmer in den Park ging, war sie hervorgeschossen aus dem Hinterhalt auf ihn, und plötzlich waren ihre Tränen geflossen: Und was sie sei, sie überlebe die Schande nicht, daß sie dem gnädigen Fräulein nicht genug zu essen gebe, daß es stehlen gehen müsse …
    Ach, was mußte Christiane reden, um sie wieder zu versöhnen und dem Vater begreiflich zu machen, daß alles nur ein Witz gewesen war. Blieb also nur der Gäntschowsche Bauernhof. Und im Anfang hatte Johannes da auch keine großen Schwierigkeiten. Zwar gab es da nicht so feine Sachen wie Haferflocken, aber eine schlichte Mehlsuppe aß der Bullenberger auch, und es war kein großes Kunststück, nachts in den Taubenschlag zu gehen und einer Taube den Hals umzudrehen. Nur, daß er im Dunkeln natürlich eine von Vaters Lieblingsstrassern erwischt hatte – und das tat ihm wirklich leid.
    Eier –? Der Hühnerstall war gesichert. Und Frau Gäntschow war hinter jedem Ei her wie der Teufel hinter einer verlorenen Seele. Aber am Sonnabend buk sie, ja, und zwölf Eier hatte sie sich abgezählt. Aber gottlob zählte sie die Eier noch einmal nach, ehe sie sie in den Teig schlug. Und sie holte noch eins dazu. Und jetzt machte es zehn. Zwei aus dem Keller dazu machte neun. Und sie sitzt auf ’nem Küchenstuhl und weint, weil sie immer verwirrter wird. Aber dann zählt sie noch einmal genau, und es sind und es bleiben neun. Und sie holt drei dazu … Gibt zehn!
    Wie mit den Eiern, so mit den Würsten. Wie mit den Würsten, so mit den Butterstücken. Und Frau Gäntschow saß |235| trübsinnig da und wollte kein Essen mehr kochen: Denn vierzehn Schweinerippchen, für jeden eins, habe ich in den Topf getan, und wie’s gar ist, sind’s elf. Mir schlägt alles zum Schlechten aus. Und so viel wie ich in meinen zweiundzwanzig Jahren Ehe geweint habe, hat wohl noch keine Frau auf Gottes liebem Erdboden geweint. Und wenn es jetzt losgehen soll, Gäntschow, in deinem Haus, mit Spuken und Dasein und Verschwinden, und einunddreißig Mettwürste hatte ich im Rauch, und wie ich sie heute nachzähle, sind’s dreißig. Und wie ich die Betten mache, liegt sie doch wahrhaftig unter des Johannes Matratze. Aber lieber soll der Superintendent Marder mich mit einem schönen Spruch ins Grab senken, als daß ich noch einmal Essen koche in deinem Haus, Gäntschow.
    Man soll es auch nicht übertreiben, Hannes, sprach der Vater beiläufig zu seinem Sohn. Und die Kartoffeln im Keller können ja wohl das Gruseln kriegen, wenn man den Zustand von deiner Mutter sieht. Und was einer sich vornimmt, soll er selber durchführen, Hannes, und soll nicht andere die Last tragen lassen.
    Jawohl, Vater, sagte Johannes. Und sie machten noch eine letzte, verzweifelte Attacke auf die Hannemann und stahlen ihr die Schlüssel. Als sie aber in der Nacht um zwei zu den verlockenden Türen mit dem Sesam-öffne-dich-Schlüssel schlichen, da saß Fräulein Hannemann in ihrem alten gelb und schwarzen Rohrstuhl auf dem kalten Wirtschaftsgang, Filzlatschen an den Füßen und eine Decke über den Knien.
    Und sie schlief.
    Aber sie hatte sich, ihre eigene Schwäche kennend, eine Wäscheleine um den Leib geschlungen, und diese Leine lief von Vorratstürklinke zu Vorratstürklinke, bis in den Keller, wo sie an der Weintür künstlich befestigt war.
    Da gaben sie den Kampf mit Fräulein Hannemann auf und hängten die Schlüssel an das Ende der Leine und rissen heftig an ihr, und rannten in den Park. Und sahen von draußen die Hannemann durch die Gänge wandern wie einen unseligen Geist und Kammer auf

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