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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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aus Angst hat er so gebibbert. Nur so, wißt ihr. Weil er gewußt hat, der Fleischer ist da.
    Er denkt wieder nach. Er sieht gegen das Fenster. Es ist die stillste Stunde, um halb vier Uhr morgens herum. Die Sonne ist kurz vor dem Aufgehen und der Himmel grünlich klar, von einer aus sich herausstrahlenden Klarheit.
    Komisch ist es, brabbelt der Bullenberger weiter, kein Scheunentor, und meine Schulter trifft er. Hätte er nicht gewußt, daß er würde den Gang antreten müssen, er hätte vorbeigeknallt in die Luft, und ich wäre längst herunter von eurer verdammten Halbinsel. Einfach per Dusel, per Tatterigkeit hat er getroffen.
    Der Bullenberger rückt sich zurecht auf seinem Lager. Die beiden Kinder sitzen auf der Polsterbank ihm gegenüber, ziemlich nahe aneinandergelehnt, weil es sie fröstelt. Es fröstelt sie jetzt immer, weil sie nicht genug Schlaf haben. Sie haben tiefe, schwarzblaue Schatten unter den Augen, sie sehnen sich nach ihren Betten, aber sie verstehen, daß der Mann auch einmal ein Wort reden muß, und darum sitzen sie da. Sie verstehen, daß jemand, der auf und ab dreiundzwanzig Tag- und Nachtstunden mit seinen zwei Toten allein ist, das Bedürfnis hat, in der vierundzwanzigsten ein bißchen darüber zu sprechen. Wilhelm und der schwarze Martin. Ja, sie verstehen. Sie verstehen ungeheuer viel. Herr Superintendent |230| Marder schlägt die Bücher auf, und wenn er sie nach fünf Stunden wieder zuschlägt, sind sie eine Seite weiter.
    Hier beim Bullenberger werden in einer Viertelstunde, die sie bei ihm sitzen, viele, viele Seiten umgeblättert. Sie sitzen still und hören nur zu.
    Meine Pfoten, sagt er grade und sieht nachdenklich auf seine Hände, die schlaff, mit geschwollenen Adern auf der Bettdecke liegen. An was alles man denken muß, wenn man so ewig in einem Bett zu liegen hat. Und immer ist nur ein Stückchen Himmel da, wenn man wirklich einmal zum Fenster hinsieht. Die Fifi – wenn ich meine Pfoten sehe, jetzt so, auf der seidenen Bettdecke, muß ich immer an die Fifi denken. Ich hab es euch ja wohl schon einmal erzählt, aber ihr sitzt da, wie die artigen Kinder in der Schule – und mitten im Text werdet ihr ja auch nicht rauslaufen, und schaden wird es euch auch nicht … Aber das kann man nie wissen, was einem schadet und was einem guttut, vielleicht erfährt man es hinterher, aber meistens nicht einmal das. Und nachher liegt man bei einem Grafen im Schloß unter der seidenen Bettdecke und kiekt sich den Himmel an und hat keine Ahnung, wieso und weshalb, und was das alles für einen Sinn hat. Eine komische Einrichtung.
    Der Bullenberger schüttelt wieder den Kopf und sieht wieder seine Hände an. Kommt noch die Geschichte von Fifi? Jawohl. Er kommt immer darauf. Er hat zwar einen schwarzen Martin, über den er trauern kann, und einen auf den Strand gelegten Wilhelm –
    Wißt ihr, manchmal denke ich doch, es wäre richtiger gewesen, ihm zuzunicken, als er da partout wahrhaben wollte, er hätte den schwarzen Martin nicht erschossen. Ich hab ja immer feste geschüttelt, in seine verdrehten Augen hinein, und ich schüttele heute noch, meistens wenigstens. Aber vielleicht hätte ich doch nicken sollen, vielleicht hätte es ihm in seinem Grabe ein bißchen Spaß gegeben, daß er mich im Sterben noch angekohlt hätte.
    Er macht eine Pause.
    |231| Aber ich habe nie im Leben genickt, wenn es für andere besser gewesen wäre. Ich habe immer für mich geschüttelt, und darum liege ich denn auch wohl hier.
    Also, der Bullenberger hatte zwei Tote, die er zu bedenken hatte, aber er bedachte die dritte, eben Fifi. Und Fifi war nichts wie ein ganz gemeiner gelber Fixköter mit weißem Bauch und schwarzen Ohrlappen. Er hatte ihn irgendwo aufgesammelt, und das einzige, was Fifi auszeichnete, war, daß sie wachsam war und genau wie ihr Herr eine unaussprechliche Wut auf die Grünen, die Zöllner, hatte. Nun, und einmal hatte der Bullenberger mit seinem ganzen Kutter voll Paschware vor dem deutschen Hoheitsgewässer gekreuzt, und die Zöllner hatten ihn gewaltig auf dem Kieker gehabt, und es war nichts zu machen gewesen mit Hineinkommen, bis dann schließlich in letzter Stunde so ein schöner, dicker Nebel eintrieselte …
    Und ich los, und ich sage noch zum schwarzen Martin, jetzt jede Leinwand, es wird. Und wir hauen los, und das Schlappen von den Motorbooten hören wir überall, aber nichts auszumachen. Es wäre auch ein Kunststück gewesen, wo ich vom Heck nicht bis zum Bugspriet sehen konnte! Und

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