Wir in drei Worten
Welt« darauf steht. Ich frage mich, ob das Absicht ist oder ob sie sich einfach nur aufs Teekochen konzentriert hat.
»Er ist ausgezeichnet«, erwidere ich.
Ich habe im Laufe meines Berufslebens viele zweifelhafte Tassen Tee über mich ergehen lassen: angeschlagenes Porzellan, sauer riechende Milch oder schlecht gespülte Gefäße, serviert von einer reizenden Gastgeberin mit schwindender Sehkraft und für gewöhnlich begleitet von gummiartigen Keksen. Und ich habe sie alle tapfer ausgetrunken. Schließlich spreche ich nur selten bei Menschen vor, die gerade eine gute Nachricht erhalten haben.
»Ihre Töchter sind ja so niedlich«, sage ich und zeige auf ein Foto.
»Danke«, entgegnet Natalie. »Sie sind im Kindergarten, sonst wäre hier die Hölle los. Haben Sie Kinder?«
»Nein.« Da diese knappe Feststellung womöglich wirkt, als übte ich Kritik an ihrer Mutterschaft, füge ich entschuldigend hinzu: »Irgendwann krieg ich schon noch die Kurve.«
Kurz entsteht Schweigen, während wir unseren Tee trinken.
»Simon hat gemeint, wir können über alles reden, nur nicht über Einzelheiten des Berufungsverfahrens«, sage ich.
»Ja, das ist in Ordnung.« Natalie legt ihr Telefon neben das Aufnahmegerät auf den Couchtisch.
Ich schlage eine leere Seite in meinem Notizbuch auf und überlege, wie ich am besten beginnen soll. Am Anfang, als sie und Lucas sich kennengelernt haben? Oder mit dem Drama, und dann in umgekehrter zeitlicher Reihenfolge? Manche Interviewte müssen erst warmlaufen, anderen wiederum fällt es schwer, sich länger zu konzentrieren.
»Da ist sie ja!« Natalie kreischt wie ein Schulmädchen, vermutlich gehört sie also zur zweiten Gruppe. Sie reckt den Hals, um aus dem Fenster zu schauen. »Meine Freundin Bridie. Sie ist gerade aus dem Urlaub zurück, ich muss mit ihr über ihre Katze reden … Tut mir leid, haben Sie was dagegen?«
»Nein, nein«, antworte ich. »Nur zu.«
Ich beobachte, wie Natalie den Gartenweg hinunterstürmt und die strubbelhaarige und ziemlich voluminöse Bridie abfängt. Die Frau ist praktisch eierförmig, trägt einen schwarzen Pulli und sieht aus wie jemand, der täglich das Horoskop in der Zeitung konsultiert.
Natalie fuchtelt mit den Händen, und ich ziehe den Hut davor, dass sie das Haustier der Nachbarin versorgt, während ihre bessere Hälfte unschuldig im Gefängnis sitzt. Ich wende mich dem Fernseher zu, wo inzwischen Werbung läuft. Schmierige Anwälte, die um Unfallopfer werben, Kredithaie, die dich mit einer bezahlbaren Monatsrate vor anderen Kredithaien retten wollen, und ein Gerät, das das Zerkleinern von Gemüse dank seiner Multifunktionsklinge zum Kinderspiel macht.
Wenn ich mich richtig in dieses Exklusivinterview reinknie und ein paar geistreiche Schnörkel hinzufüge, kriege ich vielleicht sogar einen Journalistenpreis. Dann kann Natalie stolz darauf sein, dass ihr tragisches Erlebnis mir zu einer Bauchpinselveranstaltung in Birmingham oder London verhilft, wo ich, den Stiel eines Kelches mit französischem Weißwein umklammernd, eine Runde Höflichkeitsapplaus ernte und mir ansonsten die unerwünschten Aufmerksamkeiten von angesäuselten Sportreportern vom Leibe halten muss.
Natalie redet noch immer wie ein Wasserfall. Auf ihrem Klapphandy leuchtet eine Nachricht auf. Unter dem Deckel schimmert es elektrisch blau hervor.
Ein niederträchtiger Gedanke schießt mir durch den Kopf, so niederträchtig, dass es mich selbst erschreckt.
Lies die
SMS
.
Schließlich bist du allein mit ihrem Telefon, warum also nicht? Die meisten Journalisten, die ich kenne, würden nicht eine Sekunde zögern. Immerhin kostet es uns zähe Verhandlungen, Tricks und Strippenziehen, um uns Zutritt zu den Häusern zu verschaffen, weshalb haarsträubende Indiskretionen, wenn man erst einmal drin ist, eigentlich nicht als Kapitalverbrechen gelten. Einige Kollegen würden mich sogar für eine schlechte Journalistin halten, wenn ich den Text nicht lese. Bin ich so wie diese Leute?
Meine Gedanken überschlagen sich. Natürlich werde ich die Nachricht anschließend löschen müssen, weil Natalie sonst merkt, dass ich sie gelesen habe. Was aber, wenn sie wichtige Informationen enthält, die ich nicht weitergeben kann, ohne meinen Fehltritt zu offenbaren? Oder der Mensch, der die Nachricht geschickt hat, will wissen, warum Natalie nicht geantwortet hat, und sie rechnen aus, um wie viel Uhr das war?
Ach, sei nicht so ein Angsthase, Rachel, denke ich. Die meisten SMS sind in etwa
Weitere Kostenlose Bücher