Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
ziehen.«
»Mmh.«
»Also daß Kahlenbeck für ihn eben , seit der Bischof ihn dorthin entsandt hat , vor allem der Versuch gewesen ist , einen Gegenentwurf zu dieser ganzen Hippieerziehung zu schaffen. Zum Beispiel mit unserer gezielten Abschottung – kaum Ausgang , Fernsehverbot , keine externen Schüler , Heimfahrtswochenende nur alle drei Wochen. Diese Maßnahmen sollten vor allem dafür sorgen , daß wir dem Irrsinn der heutigen Zeit so wenig wie möglich ausgesetzt sind. Statt dessen hatte er die Hoffnung , daß die Werte eines in Christus und der Kirche begründeten Menschenbildes von Kahlenbeck aus in die Welt strahlen. Trotzdem hat er sich wohl keine Illusionen gemacht , sondern war sich darüber im klaren , daß er den Sieg des Teufels über das , was einmal das christliche Abendland war , nicht aufhalten kann. Und zum Schluß , also bevor sie sich schlafen gelegt haben , hat er ein paar Sachen gesagt , die fast so etwas wie sein persönliches Vermächtnis gewesen sein müssen , wobei Heinz-Bernd ganz unsicher war , wie er es schaffen soll , das weiterzugeben …«
»Aha.«
»Der Hauptpunkt war , daß wir , also jeder Mensch , wenn er stirbt , alles , was er geschafft hat , in Gottes Hand zurückgeben muß. Auch wenn man sich immer einbildet , daß einem Anerkennung zusteht , erkennt man zum Schluß , daß man nichts ohne die Zustimmung Gottes getan hat. Selbst unseren geheimsten Absichten ist seine ewige Absicht schon vorausgegangen. Wir sind nur Diener , die nicht die geringste Ahnung haben , wie der Plan , in den Er uns hineinstellt , von oben betrachtet aussieht. «
»In zwei Jahren wäre er sowieso pensioniert worden.«
»Darüber hat er auch gesprochen: daß er große Sorge hat , wie es nach ihm mit Kahlenbeck weitergeht. Nicht nur angesichts der Frage , wie lange der Bischof bereit sein wird , das Collegium zu finanzieren , wo die Zahl der Abiturienten , die Priester werden wollen , seit Jahren abnimmt , sondern auch dahingehend , daß sich die Werte , für die Kahlenbeck steht , selbst innerhalb der Kirche immer weniger vermitteln lassen.«
»Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt , wird leben , auch wenn er stirbt , und jeder , der lebt und an mich glaubt , wird in Ewigkeit nicht sterben.«
Das Megaphon scheppert. Tiefblauer Himmel. Der Kreuzgarten ist überfüllt. Bischof Egesam selbst hat den Trauergottesdienst gehalten , acht Priester standen als Konzelebranten um den Altar , darunter Weihbischof Nocke und Generalvikar Fischer – beide Kahlenbeckabsolventen. Stöckes hat gestern und vorgestern noch mit einem Quartaner , Dirk Eltz , der als herausragendes Gesangstalent gilt , das Pie Jesu von Fauré einstudiert. Es wurde viel geweint. In seiner Predigt ist Bischof Egesam vor allem auf die Verdienste des Präses um Erziehung und Bildung der Jugend in einer dem Glauben feindlich gesinnten Zeit eingegangen. Über seinen geistlichen Rang hat er nicht gesprochen. Offenbar ist ihm nicht bewußt , daß Roghmann ein heiligmäßiger Mann gewesen ist. Kuffel sagt , die meisten Modernisten haben gar keinen Begriff mehr davon , daß es hierarchische Stufen des Glaubens gibt. Aber Bischof Egesam sei schon als Homiletikprofessor theologisch ohne Profil gewesen , und jetzt , wo er Bischof sei , sehe man , daß ihm auch als Seelsorger jegliche Geistestiefe fehle. Diese Predigtspezialisten seien allesamt halbe Protestanten.
»Wir übergeben den Leib der Erde. Christus , der von den Toten auferstanden ist , wird auch unseren Bruder Kurt zum Leben erwecken.«
Carl hat seine Eltern im Gedränge beim Auszug aus der Kirche verloren , beziehungsweise er hat sich abgesetzt. Jetzt steht er bei Kuffel und Holzkamp. Holzkamp hat rotgeweinte Augen.
»Dein Leib war Gottes Tempel. Der Herr schenke dir ewige Freude.«
Weihrauchgeruch. Ein Schwarm Dohlen stürzt sich wie auf Befehl vom Kirchendach , steigt wieder auf , dreht laut schreiend eine Runde um den Dachreiter. Carl wundert sich , daß die Vögel dem Toten keinen Respekt erweisen. Er hatte sich vorgestellt , wenn ein Heiliger zu Grabe getragen wird , trauert die gesamte Schöpfung.
»Von der Erde bist du genommen , und zur Erde kehrst du zurück. Der Herr wird dich auferwecken.«
Das sachliche Geräusch , als die Erdklumpen auf den Sargdeckel schlagen. Darunter die leblose Gestalt des Präses in schwarzer Priesterkleidung , mit einem Rosenkranz in den Händen , obwohl Carl ihn nie vor der Madonnenfigur im Hauptschiff hat knien sehen ,
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