Wir müssen leider draußen bleiben
Tücher, dahinter werden wir sitzen. Der Mann telefoniert immer wieder, erst heißt es, sie kommen gleich, dann, dass sie abgesagt hätten. »Sie sagen, sie wollen nicht schon wieder Lügen erzählen.« Sie halten mich für einen Einkäufer oder Kontrolleur. Die allermeisten Menschen, die hierher kommen, haben geschäftlich mit der Textilindustrie zu tun und wollen gerne hören, dass in den Fabriken alles in Ordnung ist. Zu solchen Auskünften werden die Arbeiter nicht selten von ihren Bossen genötigt. 423 »Bitte, sag ihnen, dass ich Journalistin bin, ich gehöre zu keinem Konzern und keiner Organisation.« Kurz darauf erscheinen zwei nervös wirkende Männer, einer hat ein Kleinkind auf dem Arm. Das meiste, sagen Mohammed und Nasmul ******** , sei wesentlich besser als in anderen Fabriken, vor allem jenen außerhalb der Wirtschaftszone. Doch mit dem Lohn sind sie nicht zufrieden. Ein ungelernter Arbeiter erhält dort nur wenig mehr als den staatlichen Mindestlohn. Nasmul ist Senior Operator, also in einer gehobeneren Position, eine Art Vorarbeiter. Er sagt, er verdiene 5 000, mit Überstunden 7 000 Taka (67 Euro). Mohammed, er ist erst Operator, verdient 4 200, mit Überstunden ebenfalls bis zu 7 000. Aber nicht immer würden die Überstunden bezahlt: »Nur die gesetzlich erlaubten zwei Stunden zwischen fünf und sieben Uhr.« Doch die Überstunden würden mehr, weil der Arbeitsdruck wachse – was nicht zuletzt daran liegt, dass sich immer mehr Unternehmen von Sozialmaskottchen Yunus angezogen fühlen. Auch C&A und Tchibo wollen in der Fabrik produzieren lassen, sagt Korshed Alam. Doch ausgerechnet die gestiegene Nachfrage von Firmen, die ihre Lieferkette sauber halten wollen, bringt die Arbeiter in die Bredouille. Nasmul sagt, wenn es viele Aufträge gebe, würden sie manchmal vom Management genötigt, nachts weiter zu arbeiten, manchmal bis zwei Uhr morgens. Wenn sie ihr Arbeitsziel nicht erreichten, würden sie vom Management beschimpft, es würde ihnen mit Kündigung gedroht. Gewerkschaftsarbeit sei ebenfalls nicht gern gesehen. »Und wenn wir mehr Geld fordern, gibt es Druck«, sagt Mohammed. Nasmul hat eine Familie mit drei Kindern, Mohammed schickt seinen Eltern auf dem Land Geld. »Wir bräuchten mindestens 9 000 Taka«, sagen sie. Es gebe Fabriken in der Zone, die würden viel besser bezahlen. Das bestätigt auch Khorshed Alam: »Grameen Knitwear bezahlt zwar ganz okay, aber es gibt Fabriken in der Wirtschaftszone, die zahlen mehr.«
Im Juli 2011 revoltierten die Arbeiter der sozialen Fabrik: Sie warfen Fensterscheiben ein und versuchten, Kartons mit Kleidern anzuzünden. Ihre Forderung: eine Erhöhung von Fahr- und Essensgeld und eine Beteiligung am Unternehmen. Der Geschäftsführer von Grameen Knitwear nannte die Forderungen »irrational«. Die Ausschreitungen waren so heftig, dass die Fabrik vorübergehend geschlossen werden musste. 424 Vielleicht ist dieser Vorfall ein weiterer Grund für Otto gewesen, das Projekt der eigenen »Vorzeigefabrik« einzufrieren. Jedenfalls zeigt er, dass es kaum möglich ist, unter den kompetitiven Weltmarktbedingungen sozial gerecht zu produzieren. Existenzsichernde Löhne sind einfach nicht drin.
Kritik unerwünscht
In Wiesbaden steht Hans Reitz strumpfsockig auf dem Flur seines Büros und wühlt in seinem dunklen Wuschelhaar. Seine schwarze Hose ist hochgekrempelt, er trägt bunte Socken und einen Oversize-Pulli. Reitz ist der deutsche Statthalter von Muhammad Yunus, nach einem Treffen mit ihm 2007 hat er in Wiesbaden das Grameen-Creative Lab gegründet, das Unternehmen zu Social Business berät. Er war außerdem an der Gründung der deutschen Joint Ventures von BASF , Adidas und Otto mit Yunus beteiligt.
Reitz’ Büro ist im schnörkeligen Philippe Starck-Stil eingerichtet. In seinem Regal steht der Bildband The Power of Dignity. The Grameen Family . Auf dem Cover sieht man eine Frau im Sari vor einer Blechhütte. In der gelb beleuchteten Nische des weißen Regals wirkt das fast wie ein Bildnis der heiligen Jungfrau Maria vor dem Stall von Betlehem.
Oft trägt Reitz einen Schlapphut, sein Outfit ist sein Markenzeichen: sozial Engagierte sind empfänglich für den alternativen Touch, Unternehmer werten das als kreativ. Immer wieder erzählt Reitz von seinem »Überlebenskampf« 425 : er ist Sohn einer alleinerziehenden Mutter und wächst mit sechs Geschwistern in einem Dorf bei Regensburg auf. Mit 14 bricht er die Schule ab und jobbt in einem Sportladen. Mit
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