Wir sind alle Islaender
, das Morgenblatt, für die Konservativen. Timinn , die Zeit, für die Progressiven, Althydubladid , das Volksblatt, hieß die eher auflagenschwache Zeitung der Sozialdemokraten. Und die Kommunisten, die sich später Sozialisten nannten, publizierten Thjodviljinn , den Volkswillen. Anläufe zu unabhängigen Tageszeitungen gab es erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, und meistens bedeutete unabhängig bürgerlich und damit der Unabhängigkeitspartei nahestehend. Um 1990 mussten die meisten Parteiblätter aufgeben, und Anfang des neuen Jahrtausends schien Morgunbladid mit einer Auflage von fünfzig- bis sechzigtausend das alles dominierende Printmedium zu werden; es gab zwar und gibt immer noch eine Boulevardzeitung, die am Nachmittag erscheint, aber ihr Einfluss ist eher begrenzt.
Um den Jahrtausendwechsel gab es dann den ersten Versuch, eine Gratis-Zeitung zu etablieren. Sie hieß Frettabladid , das Nachrichtenblatt, und wurde nach einem ersten, misslungenen Anlauf Teil des Firmenimperiums von Jon Asgeir Johannesson, Eigentümer der Baugur-Group. Das Konzept war einfach: Die Zeitung wurde gratis an neunzig Prozent
der Haushalte in Island verteilt und ausschließlich durch Werbung finanziert. Baugur war schon lange tonangebend auf dem isländischen Markt, und so war die Zeitungsneugründung eine lukrative Angelegenheit: Berücksichtigte man die teuren Anzeigen im Morgunbladid, so konnte man nun noch mehr Haushalte mit weniger Geld erreichen. Frettabladid war jedoch durchaus anspruchsvoller als viele Gratis-Zeitungen sonst, es gab sogar eine Kulturredaktion, mittlerweile ist das Blatt die meistgelesene Tageszeitung in Island (Auflage neunzigtausend) – wenn auch nach wie vor umstritten. Viele meinen, der Entwurf zum Mediengesetz, der sich gegen die Monopolisierung im Medienbereich richtete und den David Oddsson 2004 dem Parlament vorlegte, sei ausschließlich gegen die Medien von Jon Asgeir Johannesson gerichtet gewesen; und umgekehrt behaupten viele Anhänger der Unabhängigkeitspartei, Baugur missbrauche seine Medien, um die Interessen seines Firmenimperiums zu wahren.
Die Privatisierung der Banken führte zu einem erneuten Machtanwuchs der vielleicht zwei Dutzend isländischen Milliardäre. 2006 erwarb Björgolfur Gudmundsson einen Anteil des Morgunbladid, innerhalb kürzester Zeit dann immer mehr und wurde schließlich zur beherrschenden Kraft. Morgunbladid , seit Jahrzehnten im Besitz derselben Familien, hatte sich damals mit einer neuen Druckerei und einem neuen Stammhaus übernommen, weswegen neue Aktionäre gefragt waren. Ein Jahr zuvor hatte man ebenfalls einen Gratis-Ableger gegründet, um mit Frettabladid auf dem Anzeigenmarkt mithalten zu können. Ab 2007 hieß dieses Blatt 24 stundir , 24 Stunden, und nun bekamen die Einwohner von Reykjavík und Umgebung zwei Gratis-Zeitungen zum Frühstück. Vier Tage nach dem Kollaps
der Banken, am 10. Oktober 2008, machte die Zeitung dicht, und die Redakteure und Journalisten verloren ihre Jobs, darunter auch die 29jährige Audur Alfifa Ketilsdottir.
»Ein knappes Jahr habe ich als Journalistin rund um die Uhr gearbeitet. Ich kam direkt von der Uni und hatte so gesehen keine Erfahrung. Das Blatt war natürlich eine Blase des wirtschaftlichen Aufschwungs. Wie Frettabladid , das seinerzeit gegründet wurde, um mit Morgunbladid zu konkurrieren. Damals ging das noch, denn der Anzeigenmarkt war unglaublich stark. Als wir dann auf den Markt kamen, waren viele schon skeptisch. Bereits letztes Jahr dachte ich, jetzt geht es bald zu Ende. Alle sprachen von der Krise, die Anzeigen wurden weniger, und in der Redaktion machte sich Unruhe breit. Wir haben das Ende schon erwartet – aber natürlich hofft man bis zuletzt.«
Audur Alfifa sagt, dass ihre Freunde versucht hätten, sie auf einen langen Urlaubstrip in die USA mitzunehmen, sie aber wegen des Jobs absagen musste. Als die Zeitung dann wenige Tage später zumachte, beschloss sie einfach, ihnen nachzufliegen:
» Gott segne Island war ja am 6. Oktober, und am 10. war Schluss mit der Zeitung, fünf Tage später flog ich in die USA und war bis zum 24. November unterwegs. Die ersten Demonstrationen habe ich deswegen nur in den Nachrichten gesehen. War ziemlich merkwürdig, diese breiten Proteste aus dem Ausland zu verfolgen, besonders als Journalistin. Ich bin ja schon immer ein sehr politischer Mensch gewesen. War von Anfang an in der Feministischen Union, ich hatte auch gegen das Kraftwerk am Karahnjukar (ein
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