Wir sind bedient
Handwerk. Allein die Technik, mit Daumen und Ringfinger die Schere zu führen, die flieÃende Schneidbewegung, das muss man lange üben. Und man muss eine Menge über Chemie
wissen, wie man die Farben richtig anmischt, wie die einzelnen chemischen Komponenten bei den verschiedenen Haarstrukturen wirken.
Ich habe eine Weile bei so einem Zehn-Euro-»Cut and Go«-Friseur gearbeitet, war überhaupt nicht mein Fall. Die Kunden mussten Nummern ziehen, so wie auf dem Amt, und bekamen dann den Friseur zugewiesen, der gerade frei war. Viele, die da arbeiten, sind noch nicht ausgelernt oder haben gar keine Ausbildung, technisch sind die wirklich oft unterstes Niveau. Und dann bekommt man natürlich auch nur einen Zehn-Euro-Haarschnitt. Als Friseur ist man darauf angewiesen, den Kunden dort noch irgendwelche Zusatzleistungen anzudrehen, alsoâne Farbe oder Strähnchen. Die werden dann auch richtig teuer, so kommen diese Läden auf ihren Schnitt, obwohl die Friseure von den chemischen Abläufen oft erschreckend wenig Ahnung haben. Da wird dann alles in einen Topf gepanscht, mein Chef hat die Oxidantien zum Beispiel immer mit Wasser gestreckt, damit sie länger halten.
Im Fenster steht oft ein Schild »Strähnchen 9 Euro«. Was die Kunden vorher natürlich nicht wissen, ist, dass sie für das Geld nur ein paar Strähnchen ins Deckhaar eingekämmt bekommen, das ist eine Arbeit von zwei Minuten. Richtige Strähnen sind dann schon deutlich teurer.
Oder man fragt den Kunden, ob er eine Sprühkur will, die kostet zwei Euro extra. Sagt er Nein, dann ruppt man ein bisschen grober an den Haaren rum, bis er dann sagt, er möchte vielleicht doch lieber eine Kur. So will ich nicht arbeiten. AuÃerdem bekommt man da ganz dubiose Verträge,
es gibt ein Grundgehalt und dann Provision für jeden Kunden, den man bedient. Mein Chef hat damals eine Strichliste geführt, die seltsamerweise nie mit meiner eigenen übereingestimmt hat. Es wird einfach gnadenlos beschissen.
Jetzt arbeite ich in einem ganz normalen Friseursalon, wir sind zu zweit, meine Chefin und ich. Ich verdiene achthundert Euro brutto im Monat, das ist der Berliner Tariflohn für Friseure. Davon bleiben mir sechshundertdreiÃig Euro, ich muss nebenbei kellnern gehen, sonst könnte ich davon nicht leben. Ich habe keine Rücklagen, fürs Alter sparen geht überhaupt nicht. Ich hatte mal so einen Riestervertrag, aber die fünfzig Euro haben mir am Monatsende einfach gefehlt. Groà in Urlaub fahren ist auch nicht drin. Es gab Zeiten, da habe ich für meine Katzen Katzenfutter gekauft und für mich selber nichts.
Klar, wenn ich am Kuâdamm für Udo Walz arbeiten würde, könnte ich auch mehr verdienen. Aber dafür müsste ich dann irgendwelche B-Promis vollschleimen, das will ich auch nicht.
Alle finden das immer ganz schlimm, dass ich so wenig verdiene. Und dann gibt es hinterher einen feuchten Händedruck und zwanzig Cent Trinkgeld. Oder eine Kundin, die mir neulich erzählt hat, wie schlimm das sei, dass ihr Mercedes Cabrio gerade in der Werkstatt ist und sie nun ihren Zweitwagen benutzen muss. »Jetzt stellân Se sich mal vor, wenn ich kein zweites Auto hätte! Ja, was hätte ich da denn machen sollen? Ich war doch mit meiner Freundin zum Shoppen verabredet!« Tja, was soll ich dazu sagen?
In dem Laden, in dem ich jetzt arbeite, haben wir sehr gemischtes Publikum. Grundsätzlich behandle ich alle gleich, egal ob das Mäxchen Tüte aus der Pommesbude ist oder eine von den neureichen Muttis hier aus dem Viertel. Da bin ich Dienstleisterin durch und durch, bin zu allen erst mal nett.
Leiden kann ich nur nicht, wenn Leute Termine nicht einhalten und nicht absagen, eine halbe Stunde zu spät kommen und dann erwarten, dass man sie trotzdem gleich drannimmt. Wenn jemand wortlos in den Laden kommt und nicht Guten Tag sagt, vielleicht nur mit den Fingern eine Schnipp-schnapp-Bewegung macht. Da denke ich: Was denn, wollen Sie ein Twix? Ich bin nicht doof, man kann mit mir reden, können die nicht reinkommen und sagen: »Hallo, Müller mein Name, ich hätte gern einen Haarschnitt«?
Ich bediene im Laden eher die Strähnchenfraktion, meine Chefin hat die Dauerwellenkunden. Das sind viele ältere Stammkundinnen, die sind wichtig fürs Geschäft, weil sie jede Woche kommen. Waschen und legen - das ist noch richtig alte Schule, das kann heute gar nicht
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