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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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großzügig verhielt. Als Katty ihn gefragt hatte, ob sie eine Weile auf dem Hof Unterschlupf finden könne, hatte er, zumindest, wenn Katty die Wahrheit sagte, sofort geantwortet, das sei doch selbstverständlich und Gertrud könne bleiben, so lange sie wolle. Das schlechte Gewissen war ihm in den letzten Jahrzehnten nicht abhandengekommen. Sie wischte den Gedanken weg, so gut es ging, und widmete sich dem Fest, für das es so viele gute Gründe auf einmal gab. Wie es für Katty üblich war, hatte sie zu einer großen Feier geladen. Es gebe genug Eier und Mehl für einen Kuchen, hatte sie versichert, und ihre Geschwister waren der Einladung mit Freude gefolgt. Gertrud freute sich ebenso, alle wiederzusehen.
    Paula war die Einzige, die sich noch Sorgen um den Verbleib eines Familienmitglieds machte. Alfred hatte sich zuletzt von der Ostfront gemeldet, aber das war schon ein paar Monate her. Nun fürchtete sie, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte. Gertrud betrachtete ihren jüngeren Bruder, der gerade wieder neben Paula Platz genommen hatte. Josef hatte, wie so viele, gedarbt. Er war rappeldürr, genauso wie seine vier Kinder. Die Wehrmacht hatte seinen Hof geplündert, das Vieh beschlagnahmt und es im Februar mit einem Viehtreck Richtung Ruhrgebiet getrieben, damit die Soldaten dort etwas zu essen bekamen. Was mit der Bauernfamilie passierte, war dem Deutschen Reich egal gewesen. Später, als die Alliierten kamen, hatte ihre Schwägerin José eine alte Brosche von ihrer Großmutter geopfert. Es hieß, die Engländer seien besonders kinderlieb, deshalb hatte sie ihre Tochter Liesel mit der Brosche in der Hand zu den ausländischen Soldaten geschickt, sie sollte das Schmuckstück gegen etwas Essbares eintauschen. Voller Stolz war die Kleine nach zwei Stundenaus Xanten zurückgekehrt, hatte José erzählt. Sie hatte ihre Tochter schon von Weitem gesehen. Liesel hatte einen großen Kartoffelsack auf den Rücken geschnallt und es hatte einen Moment gedauert, bis José begriff, dass ein Kind unmöglich in der Lage sein konnte, einen Sack voller Kartoffeln zu schleppen. Sie lief also ihrer Tochter entgegen, und das Kind erzählte freudestrahlend von dem netten Mann, der ihr einen ganzen Sack mit Nahrungsmitteln verkauft hatte. Skeptisch öffnete José den Sack. Er war voller Schalen. Kartoffelschalen, sonst nichts. José biss sich auf die Lippen und spielte ihrer Tochter große Freude vor. Am Abend hatte es Kartoffelsuppe gegeben und auch am nächsten Abend und an allen anderen Abenden der Woche.
    Es würde ihnen guttun, sich hier auf dem Tellemannshof satt zu essen, freute sich Gertrud. Katty hatte für den Festtag Fasan vorbereitet, den Heinrich angeblich extra für Gertruds Geburtstag geschossen hatte. Wenn das stimmte, hatte er sich dafür ernsthaft in Gefahr begeben, denn in diesen Zeiten war es nicht klug, mit einem Gewehr durch die Gegend zu laufen. Die Engländer machten ihnen allen Angst, aber noch mehr die Russen. Man erzählte sich Schauermärchen von dem, was sie in Berlin trieben. Einige dieser Geschichte hatten auch José erreicht, die jetzt im Garten bei der Kaffeetafel nicht umhinkonnte, sie in all ihrer Dramatik zum Besten zu geben.
    »Gottlose sind das«, schloss sie, »sie morden und vergewaltigen.«
    »Was sagt denn unser Politiker Heinrich Hegmann dazu, Katty? Was wird aus Deutschland werden?«, versuchte Gertrud, das Thema in etwas andere Bahnen zu lenken, außerdem war sie ernsthaft an Heinrichs Meinung interessiert. Doch Katty schaute sie misstrauisch an. Offenbar suchte sie nach einer Spitze, einem sarkastischen Unterton. Die Frage erschien Gertrud naheliegend, denn Heinrich hatte vor dem Krieg imParlament gesessen und seine alten Parteifreunde wohl bereits im April angeschrieben.
    »Er wird in der nächsten Woche nach Köln reisen«, antwortete Katty schließlich. »Dort gibt es schon wieder einen deutschen Oberbürgermeister. Herr Hegmann kennt ihn von früher. Ein großer Mann, Konrad Adenauer. Der verhandelt anscheinend mit den Amerikanern. Und ich bin sicher, in der nächsten Woche werden wir mehr wissen.«
    »Werden wir dann alle amerikanisch? Hällau, wohnta Tschoklett? Wolllt irrr Schockoladde?«, imitierte Paula die Amerikaner, die sie in Bedburg-Hau gesehen hatte, und brachte damit alle zum Lachen.
    »Wo ist Herr Hegmann eigentlich?«, fragte Josef.
    »Er wird gleich kommen. Er bereitet noch ein Telegramm vor. Spätestens wenn das Essen auf dem Tisch steht, wird er sich zu uns

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