Wir sind doch Schwestern
haben.« Heinrich sprach schwerfällig und Katty schaute mit Faszination auf den Mann, von dem sie eine kurze Zeit lang geglaubt hatte, er wäre ihr Verlobter. Gott sei Dank hatte sie ihre dummen, romantischen Träume nicht verraten. Es würde für immer ein Geheimnis bleiben, was in dieser einen unwirklichen Nacht passiert war. Und sie war froh, dass sie Gertrud nicht eingeweiht hatte, die verhörartigen Fragen im Frühsommer hatten ihr gereicht. Sie hatte verstanden, was Gertrud sagen wollte, und sie hatte gewusst, dass es stimmte. Heinrich Hegmann war kein Mann, der aus romantischen Motiven heiratete. Eine Ehe war für ihn ein Geschäft, und Kattywar einem Hegmann finanziell und gesellschaftlich nicht ebenbürtig. Er musste darauf achten, dass sein Ruf tadellos blieb, schließlich verkehrte er mit den mächtigsten Männern des Landes, da musste sie zurückstehen, und dafür brachte sie Verständnis auf. Sie würde ihm keine Kaltblütigkeit unterstellen, wie ihre große Schwester es so leichtfertig tat. Heinrich hatte tatsächlich einen Hang zur Macht und ein stark ausgeprägtes Bewusstsein für gesellschaftliche Klassen, aber er hätte deshalb niemals seinen Bruder ans Messer geliefert. Gertrud ist verblendet von ihrem Gram, dachte Katty, ich muss aufpassen, dass ich zwischen ihrem hysterischen Hass und den vernünftigen Ratschlägen unterscheiden lerne. Denn die Hoffnung darauf aufzugeben, Frau Hegmann zu werden, war sicherlich aus heutiger Sicht eine sehr gute Empfehlung gewesen. Wie stünde sie sonst da, wenn sie in diesem Moment voller naiver Hoffnung wäre?
Sie blickte in das vertraute Gesicht von Heinrich und stellte fest, dass es völlig ausdruckslos war. Sie konnte keine Gefühlsregung ausmachen, weder Trauer noch Liebe noch Unsicherheit. Katty schluckte. Sie hatte sich die ganze Zeit damit beschäftigt, dass er ihr bestimmt keinen Heiratsantrag machen würde, aber was er stattdessen mit ihr besprechen wollte, hatte sie sich nicht gefragt. Würde er sie etwa entlassen? Sie erschrak. Womöglich konnte Heinrich sie nicht bei sich behalten, vielleicht hatten seine Parteifreunde ihn überzeugt, dass diese Nähe nicht akzeptabel war. Vielleicht war für ihn jetzt der Moment gekommen, sich von seiner Hauswirtschafterin zu trennen. Aber das konnte er doch nicht machen, dachte Katty empört, er hatte seinem Sohn etwas versprochen. Und auch ihr. Sie wollte nicht vertrieben werden, der Tellemannshof war ihr Zuhause. Wo sollte sie denn hin?
»Bitte lassen Sie mich hierbleiben!«, platzte es aus Katty heraus.
Heinrich schien verdattert. Er hatte sich wohl auf seine Rede konzentriert, hatte die richtigen Worte gesucht und war nun sichtlich irritiert von ihrem unvermittelten Ausbruch. Er blinzelte ein paar Mal, dann huschte der Anflug eines Lächelns über sein Gesicht.
»Aber nein, liebste Katty, keine Sorge. Ich habe nur einen besonders, wie soll ich sagen, privaten Auftrag. Und es gibt niemanden sonst, dem ich zutraue, ihn in meinem Sinne zu erfüllen.« Katty stand da und hatte keinen Schimmer mehr, was Heinrich ihr eigentlich sagen wollte.
»Wissen Sie, Katty, ich bin jetzt sechzig. Das ist ein stattliches Alter, sicher, aber im Grunde fühle ich mich noch sehr frisch. Theodors Tod war ein großer Schicksalsschlag, doch in mir ist der Gedanke gereift, dass ich einen neuen Erben brauche. Und um einen Sohn zu bekommen, muss ich, nein, möchte ich mich wieder verheiraten.«
Katty sog die Luft ein. Als sie merkte, dass sie ein seltsames Geräusch dabei machte, hielt sie sofort inne und hörte für einen Moment vollständig auf, zu atmen.
»Ich wollte Sie deshalb bitten …«
Katty war kurz vor der Ohnmacht. Und deshalb tat sie genau das, was man in solchen Momenten auf gar keinen Fall tun sollte: Sie saugte noch mehr Luft in die Lunge. Ihr Brustkorb war kurz vor dem Zerplatzen. Ausatmen konnte sie allerdings auch nicht, denn dann wäre sie vermutlich sofort in ein peinliches Japsen verfallen, als wäre sie gerade um ihr Leben gerannt. Also verharrte sie regungslos, dem Ersticken nahe, und hoffte, dass es schnell vorüberginge. Und als Heinrich den Rest seiner Bitte aussprach, war sie so erleichtert, zu atmen, zu überleben, dass ihr Herz keinen Schaden nahm.
»… mir eine Frau zu suchen, die von Stand und Wesen zu mir passt.« Heinrich schaute Katty intensiv in die Augen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie begriff, was Heinrich ihr gesagt hatte, und es dauerte noch länger, bis sie erfasste, was seine
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