Wir sind doch Schwestern
würde.
»Was machst du denn hier?« Gertrud fuhr hoch, Katty war in die Küche gekommen und legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Du solltest jetzt schlafen gehen, Gertrud. Morgen wird ein großer Tag. Es wird dein Tag, meine Liebe.«
27. Januar 1946
Antrittsbesuch
Eine ganze Weile schwiegen sie schon. Was gäbe es auch zu sagen, fragte sich Katty. Sie waren auf dem Heimweg von Bislich, wo Heinrich und sie mit Familie Bruhr den Nachmittagskaffee eingenommen hatten.
Anna Maria Bruhr war die Frau, auf die Kattys Wahl gefallen war. Jetzt musste Heinrich nur noch zustimmen. Und natürlich Anna Maria. Aber das würde sich schon fügen. Anna Maria war mit Katty zur Schule gegangen, sie kannten sich seit einem Vierteljahrhundert. Anna Maria war ein schüchternes, schlichtes, aber sehr nettes Mädchen, und Katty, die schon damals vorwitzig und resolut gewesen war, hatte Anna Maria vor den Neckereien und Streichen der Mitschüler bewahrt. Die Freundin hatte etwas Verträumtes an sich gehabt, war von ätherischer Zartheit und dankbar für Kattys Unterstützung gewesen, wofür sie sich in Form von Butterbroten und Süßigkeiten erkenntlich gezeigt hatte. Anna Marias Eltern waren zwar nicht reich, aber es ging ihnen gut. Der Vater war Kaufmann und Bürgermeister von Bislich, gutbürgerlich nannte man so etwas, also durchaus das, was sich Heinrich wünschte. Ihre Mitgift wäre akzeptabel, auch wenn das für Heinrich sicherlich nicht den Ausschlag geben würde. Nach der Schulzeit hatten Katty und Anna Maria sich aus den Augen verloren,nur zu den jährlichen Klassentreffen hatten sie sich gesehen. Sie hatten zusammengestanden und über die alte Zeit geredet, doch spätestens nach einer halben Stunde hatte Katty das Bedürfnis gehabt, sich ins Getümmel zu stürzen, denn außer »Ja« und »Nein« sagte Anna Maria wenig, wirkte dabei aber immer noch anmutig. Das letzte Klassentreffen war 1942 gewesen, in den späteren Kriegsjahren hatten die Frauen weder Zeit noch Lust auf solche Treffen gehabt. Fast alle hatten jemanden verloren und zu betrauern. Anna Maria war bis heute nicht verheiratet, was Katty wunderte, denn eigentlich war sie eine gute Partie. Zwei Wochen zuvor hatte Katty Kontakt mit ihr aufgenommen. Ganz behutsam hatte sie sich über die Lebensumstände erkundigt und schnell gemerkt, dass die arme Anna Maria in einer denkbar ungünstigen Konstellation lebte: Ihre Schwägerin mochte sie nicht leiden, ihr Bruder warf ihr vor, das Haus wie ein Parasit zu bewohnen, aber Abhilfe war nicht in Sicht, denn immerhin war sie inzwischen siebenunddreißig, da fand sich ein Ehemann nicht mehr so leicht. Katty hatte sich zu ihrer Wahl gratuliert. Anna Maria würde Heinrich sicherlich mit Freuden ehelichen, und Katty wäre alle Sorgen los. Und als Anna Maria sich am Montag zuvor an ihrer Schulter ausgeweint und über ihre widrigen Lebensumstände gejammert hatte, hatte Katty sie nur zu gern getröstet.
»Weißt du was, Anna Maria«, hatte sie gesagt, »du musst heiraten, du musst hier raus. Gründe deine eigene Familie, nur dann hast du eine Chance, glücklich zu werden.«
Anna Maria hatte daraufhin wie üblich nichts gesagt und sie nur aus großen verheulten Augen angesehen.
»Ich weiß sogar jemanden!«, hatte Katty aufgeregt gerufen, als sei ihr eben erst der Gedanke gekommen. »Heinrich Hegmann, auf dessen Hof ich als Hausdame arbeite. Seine Frau ist schon vor langer Zeit gestorben. Und nun ist auch noch sein Sohn gefallen. Er will eine neue Familie gründen. Er will eineFrau und einen Erben. Und er ist ein angesehener und gut betuchter Mann. Was meinst du, soll ich mit ihm über dich sprechen?«
»Ich weiß nicht«, hatte Anna Maria geschluchzt, »warum willst du ihn denn nicht selbst heiraten?«
»Ach Gott bewahre, das geht doch nicht. Ich bin seine Hausangestellte und es gibt da außerdem einen anderen Mann, der sich für mich interessiert. Ein Zahnarzt aus Duisburg. Ich habe ihn durch Gertrud kennengelernt«, hatte Katty ungeniert gelogen und sich über sich selbst gewundert. Da würde bald mal wieder eine Beichte fällig sein, andererseits war es eher so etwas wie eine Notlüge gewesen und schließlich wollte sie Anna Maria wirklich etwas Gutes tun. Sie hatten gekichert und waren albern gewesen wie Schulmädchen. Katty hatte zwischendurch ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn sie an Gertruds Vorwürfe dachte. Sie war tatsächlich dabei, eine Intrige zu spinnen, doch würde dadurch niemandem ein Schaden entstehen,
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