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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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mit der anderen Hand hielt er den kleinen Hund am Fell fest, damit er nicht an Gertrud hochspringen konnte. Vorsichtig beugte sie sich zu Tommyund tätschelte ihn. Zuerst hatte sie Katty gescholten, als sie sich auch noch einen Hund angeschafft hatte, aber inzwischen mochte sie das Tier, selbst wenn der kleine Kerl für alte Menschen lebensgefährlich war. Erst als sie sich mühselig wieder aufrichtete, bemerkte sie, dass Jan sie aufmunternd anblickte, und als sie immer noch nicht reagierte, versuchte er offenbar, sie an lieb gewonnene Gewohnheiten zu erinnern.
    »Wolodomir, ein guter Mann«, radebrechte er.
    »Nein, Jan«, entfuhr es Gertrud unwillkürlich. Sie hatte das Adjektiv ›gut‹ nie im Zusammenhang mit Wolodomir benutzt und es jetzt zu hören, betonte nur, wie wenig es passte, auch wenn sie ungern daran dachte, dass Wolodomir eigentlich alles andere als ›gut‹ gewesen war.
    Jan ahnte natürlich nichts von Gertruds Gedanken und verzog leicht enttäuscht das Gesicht, was ihr noch im selben Augenblick leidtat. »Heute nicht, Jan, die Frauen wollen etwas einstudieren, da darf ich nicht hier unten sein«, log sie, winkte ihm zum Abschied und ging, so schnell es ihre Beine zuließen, ins Wohnzimmer.
    Gertrud war in Gedanken noch bei Wolodomir, als sie sich neben Paula in den Sessel fallen ließ.
    »Na, endlich kommt mal jemand«, beschwerte sich Paula. »Wenn ich hier allein herumsitze, kann ich ja auch zu Hause bleiben, pöhöhö. Also, was erzählen die Landfrauen?«
    Als Gertrud nicht reagierte, nahm Paula ihre Hand.
    »Was ist denn los? Ist irgendwas passiert? Du bist so nachdenklich.«
    »Nein, nein«, antwortete Gertrud, »ist schon gut. Es ist nur, Jan hat eben eine seltsame Bemerkung gemacht. Er hat behauptet, Wolodomir Huth sei ein guter Mann gewesen.«
    »Was ist falsch daran? Nach deinen Erzählungen war er ein Held, oder gab es ihn in Wahrheit gar nicht?«, neckte Paula, doch Gertrud hörte sie gar nicht richtig.

    »Sag mal, habe ich dir jemals die Geschichte von Wolodomir erzählt?«
    Paula verdrehte die Augen. »Machst du Witze? Jeder von uns hat die Geschichte mindestens zehn Mal gehört. Ich kann schon mitsprechen, wenn du das willst.« Gertrud lächelte nicht.
    »Nein, ich meine ganz. Die ganze Geschichte?«
    »Wovon redest du?«
    »Ehrlich gesagt erzähle ich von Wolodomir immer nur die halbe Wahrheit. Den Teil, der romantisch ist und spannend.«
    Paula schien auf einmal sehr interessiert. »Soll ich dir ein Glas Wein holen, und dann erzählst du mir, was wirklich passiert ist?«, schlug sie vor.
    »Lass nur, ich geh schon selbst.« Gertrud ging in die kleine Wohnküche und holte sich die geöffnete Flasche Trollinger aus dem Kühlschrank. Es war ein sehr leichter Wein, etwas für ältere Damen, frotzelte ihr Neffe, aus dessen eigenem Weinberg der Tropfen stammte, und der, wann immer er den Niederrhein besuchte, ein paar Flaschen für seine Tanten im Gepäck hatte. Gertrud genehmigte sich ein halbes Glas und ging zurück zu Paula.
    »Die ganze Wahrheit ist wohl, dass ich damals einen Verbrecher bei mir versteckt habe«, begann sie ohne weiteres Zögern.
    »Einen, den die Nazis für einen Verbrecher hielten, oder einen wirklichen Verbrecher?«
    »Einen wirklichen Verbrecher. Ich weiß es bestimmt seit dreißig Jahren. Käthe Ackermann hat mir die Geschichte erzählt.«
    Gertrud beichtete Paula, wie sie zu Finnies sechzigstem Geburtstag an der Kaffeetafel mit Wolodomir Huth geprahlt hatte und wie besagte Käthe Ackermann erbleicht war und den Raum verlassen hatte. Gertrud hatte nicht verstanden, warum. Erst am Ende des Nachmittags hatten Finnie und Käthe ihr erzählt, was passiert war.

    Wolodomir Huth war dem Hof von Käthes Eltern zugeteilt gewesen. Auf ihrem Hof in Veen waren deutsche Offiziere stationiert, sie hatten dort eine Schreibstube eingerichtet, das heißt, dort lagen in einem alten hölzernen Sekretär, sofern vorhanden, Verteidigungspläne für den Niederrhein, die täglich aktualisierte Berichte über Truppenbewegungen, aber auch über Bombenstellungen enthielten. Der ranghöchste deutsche Offizier war Siegfried Fleischer, ein junger, gebildeter und feinsinniger Mann, der entweder naiv war oder dem Deutschen Reich ein Ende setzen wollte, und zwar so bald wie möglich. Jedenfalls ließ er die Schreibstube immer wieder unverschlossen, was sogar Käthe mitbekam, und so war es kein Wunder, dass auch der Ukrainer Bescheid wusste. Wolodomir ließ die Gelegenheit nicht verstreichen.

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