Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
Hexenschuss.«
Rechtsanwältinnen küsst man nicht
W as war sie doch für ein guter Mensch. Sanft wie ein Lamm. Erfüllt von Demut und Dankbarkeit. Und so eine umweltbewusste Bürgerin. Neulich hat sie sogar die Scherben einer zerschlagenen Schnapsflasche mühsam aus dem Sandkasten geklaubt und sie hinterher ordnungsgemäß in den Altglascontainer entsorgt. Sie will sich jetzt nicht unnötig selbst auf die Schulter klopfen, aber sie ist doch wirklich ein nationales Vorbild an Redlichkeit und Tugend. Wenn das so weitergeht, ist die Zeit bald reif fürs Bundesverdienstkreuz. Ehrung wegen außerordentlicher moralischer Integrität und Mitmenschlichkeit.
Das war – Hand aufs Herz – leider nicht immer so.
Vor langer, langer Zeit, als noch der Große Krieg durch ihre Küche tobte, da war sie eher bekannt für ihre unbarmherzige Grausamkeit als für ihre besonderen Verdienste um Geduld und Güte. Da fegte sie als Gift und Galle spuckender Hausdrachen übers Wohnzimmerparkett, hieb mit ihrem WMF-Brotmesser tiefe Kerben in die Bettpfosten und feuerte fliegende Untertassen durch die Küche. Braun und gelb waren damals die Wände von Kaffee und Magensaft und rot der Teppich vom Blut ihrer Feinde. Na ja, das mit dem Blut ist jetzt natürlich nur sinnbildlich gemeint. Und außerdem war es genau genommen auch nur ein Feind. Der Feind formerly known as der Mann in ihrem Bett, sozusagen.
Natürlich war allein der Feind schuld an ihrem jähen Wandel zur Zornesgöttin. Eines Tages, aus dem heiteren Himmel eines ansonsten angenehm ereignislosen Pärchenlebens, meinte er nämlich, ihr sagen zu müssen, dass er glaube, er liebe sie nicht mehr.
»Was soll das heißen, du glaubst, du liebst mich nicht mehr?«
»Ich glaube, ich liebe dich nicht mehr.«
»Wann ist dir das aufgefallen?«
»Keine Ahnung. Vor einer Weile.«
»Wie, vor einer Weile?«
»Ich habe da jemanden kennen gelernt.«
»Du hast jemanden kennen gelernt?«
»Ja.«
»Eine Frau?«
»Ja, eine Frau.«
»Habt ihr was miteinander?«
»Hm. Nein. Na ja.«
»Was willst du mir damit sagen? Dass du dich verliebt hast? Und mich liebst du nicht mehr?«
»Vielleicht. Ich weiß nicht. Das eine hat doch mit dem anderen gar nichts zu tun. Bei uns stimmt es doch schon lange nicht mehr.«
Da hatte er Recht, aber das konnte sie ja jetzt unmöglich zugeben. »Und was heißt das jetzt? Willst du dich trennen?«
»Keine Ahnung.«
»Wie, keine Ahnung?«
»Ich weiß nicht. Ich habe das doch auch alles nicht geplant. Es ist eben einfach so passiert. Für seine Gefühle kann man doch nichts.«
Nein, natürlich, für seine Gefühle kann der Mann nichts. Und Gefühle soll man ja außerdem sowieso so kommen lassen, wie sie gerade kommen. Sonst kriegt man Krebs. Oder Bandscheibenvorfälle. Oder Sodbrennen.
Die Frau ließ ihre Gefühle also auch kommen in den nächsten Wochen. Und es kamen viele, viele Gefühle. Nur gute waren nicht dabei.
Zunächst einmal hatte sie das Gefühl, dass man es voll und ganz rational durchdringen muss, warum jemand glaubt, jemand anderen plötzlich nicht mehr zu lieben. Deshalb wurde die Zuneigungskrise zunächst einer ausgiebigen internen Analyse unterzogen. Strukturierende Verfahren wurden erarbeitet, Themencluster erstellt, Emotionsverläufe nachgezeichnet, differierende Wahrnehmungen beschrieben. Wozu hat man schließlich studiert. Diese Unterhaltungen, bei denen es meist eine emphatische Rednerin und einen schweigsamen Zuhörer gab, mussten allerdings nachts geführt werden, wenn die Kinder schliefen. Und zum Keifen ging man in den Keller. Tagsüber vermied Mutti mit dem Vater ihrer Kinder generell jeden Blickkontakt und hüllte sich in einen Mantel beleidigten Schweigens. Geschlafen wurde natürlich getrennt.
Nach einigen durchgebrüllten Nächten hatte Mutti das untrügliche Gefühl, dass einem Beziehungsende mit wissenschaftlichen Methoden nicht beizukommen sei. Geeinigt hatte man sich mittlerweile immerhin auf die Erkenntnis, dass er ein Schwein und sie eine arme Sau war. Und dass seine Schlaf- und Wirkungsstätte künftig eher außerhalb der gemeinsamen Wohnung liegen würde.
»Kommt mal her und sagt Papa schnell tschüss, der muss ein paar Tage verreisen.«
Papa verreiste, Papa rief abends an, Papa kam wieder, um noch mehr Sachen zu packen und wieder zu verreisen. Nach der dritten fiktiven Reise entschied man gemeinsam, den Kindern die Wahrheit zu sagen. Beziehungsweise das, was in diversen Trennungsratgebern, die – na, wer wohl?,
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