Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
stand. Er zeigte auf die üble Platzwunde über Bastians linkem Auge und das verkrustete Blut an Nase und Lippe. »Verdammt! Was haben sie denn mit dir gemacht?«
Der? Bastian wollte sich schon abwenden, aber dann sagte er: »Komm mit in die Küche, Paul. Hör gut zu: Sie haben auf uns geschossen und ein paar von uns eingesperrt. Das war kein Zuckerschlecken. Aber das weißt du bestimmt schon alles. Oder?«
»Geschossen? Ich weiß nur von der Razzia. Franzi war bei mir. Hotte und Zack sind nicht nach Hause gekommen und der Platz am Bunker war leer. Von dir wusste niemand etwas. Deshalb bin ich hier.«
Bastian hockte sich an den Küchentisch. Seine Mutter stand kreidebleich und atemlos am Herd. »Junge. Was zum Teufel treibt ihr da draußen? Warum wird auf euch geschossen? Bist du noch bei Verstand?«
»Später, Mama. Später werde ich dir alles erklären. Jetzt muss ich das hier zu Ende bringen.«
Er sah zu Paul, der unschlüssig in der Küche stand und nicht zu wissen schien, wohin er sollte.
»Ich weiß wirklich nicht, was ich von alldem halten soll. Ich weiß auch nicht, wie du da reinpasst, Paul. Geh in deine Laube und rühr dich nicht vom Fleck. Nein, keine Fragen. Und jetzt hau ab.«
»Muss das sein?« Bastian spürte in der Stimme seiner Mutter eine Spur Empörung.
»Ja, Mama. Genau so!«
Paul hatte die Türklinke schon in der Hand und zog die Tür auf. Er zögerte, doch Bastian stand direkt hinter ihm.
Elli kam angerannt und hielt Herrn Wutz in der erhobenen Hand. »Paul, Paul«, rief sie und funkelte Bastian wütend an. »Du sollst Herrn Wutz mitnehmen. Dann bist du nicht so alleine.«
»Lass nur, Elli«, sagte Paul, »Herr Wutz ist am besten bei dir aufgehoben. Ich komme schon klar.«
Bastian beobachtete Paul, als er die Treppe hinunterstiefelte. Er lauschte auf das Schließen der Haustür und vergewisserte sich mit einem Blick aus dem Fenster, dass Paul wegging.
Er wandte sich um. Elli hielt Wutz und seine Mutter hielt Elli. Ein glückliches Pärchen sieht anders aus, dachte Bastian. Nein, er war wirklich nicht stolz auf sich.
»Wir haben Lebensmittel geklaut. Mama. Für die Gefangenen in der Gasfabrik. Und für uns. Es ist nächtelang gut gegangen. Aber in der Nacht, da haben sie auf uns gewartet. Und geschossen. Zack hat es erwischt. Ich weiß nicht, wie schwer.«
»Das war das Schlimme, von dem du nichts erzählen wolltest? Als du über den Balkon geklettert bist und die Gestapo auf dich gewartet hat?«
»Ja. Aber die wissen nicht, dass wir am Bahndamm waren. Die haben in der Nacht Jagd auf Edelweißpiraten gemacht. Im EL-DE- Haus war jede Zelle belegt. Wie die Ölsardinen haben sie uns eingesperrt.«
Seine Mutter starrte ihn ungläubig an. »Wie soll das bloß weitergehen, Junge?«
»Wir müssen irgendwie rausfinden, was mit Zack passiert ist. Und morgen gehe ich wieder arbeiten.«
»Die dürfen dich auf keinen Fall noch mal verhaften. Sonst machen die dich fertig.«
»Nur keine Sorge. Ich glaube, ich schaffe das. Außerdem ...«, Bastian grinste schief, »die haben mich freigelassen, weil sie mir nichts anhängen können.«
Seine Mutter stellte ihm einen Teller mit Brot und Butter hin.
»Puh, du stinkst«, sagte Elli und rümpfte die Nase. Trotzdem kletterte sie auf die Armlehne des hölzernen Stuhls und fuhr Bastian mit ihrer kleinen Hand vorsichtig über das schmutzige Gesicht. Obwohl er kaum noch die Augen aufhalten konnte, war er glücklich, sie um sich zu haben, und drückte sie fest an sich.
DER
WERKSCHUTZMANN
BEUGTE sich aus dem Wachhäuschen. Bastian sah ihn fragend an. Doch bevor er eine Antwort erhielt, wurde die Tür aufgestoßen.
»Heil Hitler!« Ausgerechnet Frericks, die rechte Hand des Betriebsobmanns, empfing Bastian am Werkstor. Mahlmanns Mann fürs Grobe, für die schwierigen Fälle. Einer, der – wie er selbst sagte – den Laden zusammenhielt. Worte wie »bedingungslose Opferbereitschaft« und »Treue und Kameradschaft« benutzte er oft und gerne. SS-Oberscharführer Frericks führte auch Aufsicht über die HJ . Genauso wie über die Werksfeuerwehr, den Werkschutz und den Spielmannszug der DAF. Er wurde gerne laut und war sich, wie er betonte, für nichts zu schade.
Bastian wunderte sich nicht, dass Frericks sich ausgerechnet seinetwegen bemühte. Er war sowieso schon einer von Frericks’ schwierigen Fällen.
»Heil Hitler«, antwortete Bastian.
»Na, Frei? Warum denn so lustlos?«
»Heil Hitler!«, brüllte Bastian.
Dann ließ Frericks ihn
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