Wir toeten nicht jeden
Song hieß es einmal, es hänge von zwei Menschen ab, ob es am Morgen danach für sie weiterhin Nacht sei, man brauche dazu bloß die Rollläden herunterzulassen. Hier gibt es zwar keine, aber wir haben meinen Schlafsack, unter dem wir jetzt wieder in die Nacht eintauchen.
Der Schlafsack taugt indes nicht viel, denn wir wollen uns sehen. Wir sind heiß aufeinander, verspielt, erkennen Pfade des Verlangens wieder, die wir in der Nacht entdeckt haben, lieben uns mit offenen Augen und glücklichem Lachen, mit derselben Magie, die uns Stunden zuvor der Mond verliehen hat. Wenn unser lustvolles Stöhnen vor wenigen Stunden aufs Meer zurollte und wieder gegen die Küste brandete, steigt es jetzt auf zum First des Zelts, prallt daran ab und fällt auf uns zurück, um sich erneut zu erheben. Und auf einmal verlangsamt sich die Welt um uns herum, alles wird atemberaubend langsam, während ich mich auf sie lege und die aufblasbare Matratze zu einem fliegenden Teppich wird. Selbst das Ende schmeckt nach Anfang, als ich mich in sie ergieße, erfüllt mich mit unbändigem Glück, und als wir zur Ruhe kommen, haben wir etwas in Gang gesetzt, das man nicht sehen, aber spüren kann.
»Ich auch«, gestehe ich, während wir Atem holen. »Ich will auch mehr.«
Wohlig schnurrend kuschelt sie sich an mich, ihre zärtlichen Worte sind voller rollender R. Ich reiche ihr eine Zigarette und vergesse all meine Zweifel, als sie mich ansieht und urplötzlich ruft:
»Es ist so unglaublich schön, mit dir zu vögeln, Juan!«
Das macht mich stolz, schreckt mich aber auch auf: Mehr ist es nicht für sie?
»Aber noch viel mehr gefällst du mir , mir gefällt Juan Pérez Pérez, und das ist wirklich erstaunlich!«, flüstert sie da mit strahlenden Augen, und ich muss lachen.
Alle dunklen Wolken sind vertrieben. Zumindest vorläufig.
Eng umschlungen liegen wir eine Weile still da, bis sie sich mit einem Seufzer aus meinen Armen löst.
»Weißt du, wie spät es ist?«
Yolanda besitzt keine Uhr, und jetzt weiß ich auch, warum: Sie würde ihr nichts nützen. Die Zeit bemisst sie ausschließlich in Herzschlägen. Als ich ihr meine Armbanduhr hinhalte, auf der es kurz vor zehn ist, fährt sie erschrocken hoch.
»Verdammter Mist! Um Viertel vor zehn muss ich eine Gruppe Kinder übernehmen!«
Sie lässt kleine Küsse auf mich regnen und sucht ihre Kleider. Vergeblich. Uns fällt gleichzeitig ein, dass wir uns irgendwann in der Nacht vor dem Zelt wieder angezogen haben, weil wir uns gegenseitig die Kleider vom Leib reißen wollten. Die Knöpfe meines Hemds flogen über den Rasen, und an ihrem Kleid habe ich, glaube ich, mindestens einen Träger abgerissen.
Yolanda streckt den Arm aus dem Zelt und tastet blindlings danach. Es sind sogar beide Träger abgerissen, aber sie knotet sie rasch im Nacken zusammen, und späht dann durch den halb aufgezogenen Reißverschluss, um ihren Tanga zu finden. Vergeblich; allerdings war er auch das Erste, was ich in der Nacht zerfetzt habe.
»Ganz schön peinlich«, sagt sie grinsend und beauftragt mich, ihn nachher zu suchen. Und dann verabschiedet sie sich mit tausend Küssen, mit geflüsterten, feuchten Worten und dem Versprechen, am späten Abend wiederzukommen. Ich sehe ihr hinterher, wie sie die Anhöhe hinaufläuft, wobei sie alle zwei Schritte jemandem Guten Morgen wünschen muss.
Als sie nicht mehr zu sehen ist, ist auch für mich die Nacht vorbei. Plötzlich regiert der Tag. Bis gerade eben habe ich nur das Geräusch schäumender Wellen vernommen, die von hier drinnen und die draußen, so weit der Strand von meiner Parzelle auch entfernt sein mag. Jetzt sind auf einmal Stimmen zu hören, Schritte, eine ganze Sinfonie von Geräuschen, die an mein Ohr dringen.
»Warum kriege ich nicht mehr Marmelade auf meinen Toast?!«
»Weil du sonst zu dick wirst. Wenn du nicht aufpasst, siehst du als Erwachsener aus wie der Dickbauch mit dem Holzbein, der gerade vorbeigekommen ist.«
Es sind die Stimmen von Antoñito und Leticia. Nackt und auf allen vieren strecke ich den Oberkörper aus dem Zelt, und da sehe ich sie, wie sie keine fünf Meter von mir entfernt frühstücken. Ein Klapptisch und darum herum die vier, die mir einen guten Morgen wünschen.
Die perfekte FKK-Familie.
Ich muss ziemlich lächerlich aussehen, auch wenn ich mich nicht so fühle.
Der Richter grinst verschwörerisch.
Leti sieht mich mit einer Miene an, die einen Hauch von Achtung vor ihrem Vater erkennen lässt.
Antoñito strahlt, auch
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