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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sagt, ›bitte, hör auf‹ … was bedeutet es dann, wenn ein Mann trotzdem nicht aufhört?« fragte Ruth. »Ist das nicht fast so etwas wie Vergewaltigung?«
    Er drehte sich um und wandte ihr den Rücken zu. »Ach, komm schon. Du redest mit einem Anwalt.«
    »Nein, ich rede mit einem Arschloch.«
    »Und … wer hat vorher angerufen?« fragte Scott. »Jemand Wichtiges?«
    »Wichtiger als du«, entgegnete Ruth.
    »In Anbetracht der Umstände«, sagte der Anwalt, »nehme ich an, daß er so wichtig auch wieder nicht ist.«
    »Bitte, geh jetzt«, sagte Ruth. »Bitte, geh einfach.«
    »Okay, okay«, sagte er. Doch als sie aus dem Bad kam, war er wieder eingeschlafen. Er lag auf der Seite und hatte beide Arme über ihre Betthälfte gebreitet, so daß er das ganze Bett einnahm.
    »Steh auf!« schrie sie. »Raus hier!« Aber entweder schlief er tief und fest, oder er tat zumindest so.
    Rückblickend hätte Ruth vielleicht etwas länger über ihren nächsten Entschluß nachdenken sollen. Sie zog die Kondomschublade auf, holte die Tube mit Gleitmittel heraus und spritzte es Scott ins linke Ohr. Das Zeug kam viel schneller aus der Tube als erwartet; es war flüssiger als normales Gel, was zur Folge hatte, daß Scott im Nu aufwachte.
    »Es ist Zeit zu gehen«, erinnerte ihn Ruth. Sie war nicht im mindesten darauf vorbereitet, daß er zuschlug. Bei Linkshändern passieren immer Sachen, mit denen man nicht rechnet.
    Scott schlug nur einmal zu, aber mit voller Kraft. Eine Sekunde lang hielt er sich das linke Ohr mit der linken Hand; dann sprang er mit einem Satz aus dem Bett und pflanzte sich vor ihr auf. Mit der Linken landete er eine Gerade, die sie überhaupt nicht kommen sah, auf ihrem rechten Wangenknochen. Als sie auf dem Teppich lag, ungefähr dort, wo sie Hannahs geöffneten Koffer entdeckt hatte, wurde ihr klar, daß ihre Freundin wieder einmal recht gehabt hatte: Ruths vermeintlich zuverlässiger Instinkt, mit dem sie schon bei der ersten Verabredung mit einem Mann glaubte feststellen zu können, ob er Frauen gegenüber zu Gewalt neigte, hatte sich als Illusion erwiesen. Hannah hatte ihr klargemacht, daß sie bisher einfach Glück gehabt hatte. (»Du bist einfach noch nicht an so einen Kerl geraten«, hatte sie ihr erklärt.) Jetzt war es soweit.
    Ruth wartete, bis das Zimmer aufhörte sich zu drehen, ehe sie sich zu bewegen versuchte. Wieder glaubte sie zu bluten, aber es war nur das Gel, das an Scotts linke Hand gekommen war, als er sich an sein linkes Ohr gefaßt hatte.
    Zusammengerollt wie ein Fötus lag Ruth auf dem Boden, die Knie an die Brust gezogen. Die Haut über ihrem rechten Wangenknochen fühlte sich ungeheuer straff an, und ihr Gesicht war unnatürlich warm. Wenn sie blinzelte, sah sie Sternchen, doch wenn sie die Augen offenhielt, verschwanden sie binnen Sekunden.
    Sie war wieder in einem Schrank eingesperrt. Seit ihrer Kindheit hatte sie keine solche Angst mehr gehabt. Sie konnte Scott nicht sehen, rief ihm aber zu: »Ich hol dir deine Sachen. Sie sind noch im Trockner.«
    »Ich weiß, wo der Trockner steht«, entgegnete er mißmutig. So, als hätte sie nichts mit dem Körper zu tun, der da auf dem Teppich lag, sah sie ihn darüber hinwegsteigen. Sie hörte die Treppenstufen knarzen, als er hinunterging.
    Als sie aufstand, war ihr einen Moment lang schwindlig; das Gefühl, sich übergeben zu müssen, hielt etwas länger an. Mit diesem elenden Gefühl im Magen ging sie nach unten, durchquerte das Eßzimmer und trat auf die dunkle Terrasse hinaus. Die kühle Nachtluft belebte sie in Sekundenschnelle. Der Spätsommer ist vorbei, dachte sie, als sie eine Fußspitze in den Pool tauchte; das seidigweiche Wasser war wärmer als die Luft.
    Später würde sie noch einmal in den Pool steigen, aber jetzt wollte sie nicht nackt sein. Auf dem Lattenrost neben der Außendusche lagen noch ihre Squashsachen von vorher; sie waren feucht von kaltem Schweiß und Tau. Als sie das T-Shirt überzog, fröstelte sie. Mit Slip, BH und Socken hielt sie sich gar nicht erst auf. Nur T-Shirt, Shorts und Schuhe, das genügte. Sie dehnte ihre schmerzende rechte Schulter. Auch die würde genügen.
    Scotts Squashschläger lehnte – Griff nach oben, Schlägerkopf nach unten – außen an der Duschkabine. Er war zu schwer für sie, und der Griff war zu dick für ihre Hand. Aber schließlich hatte sie nicht vor, ein ganzes Match damit zu spielen. Er wird seinen Zweck erfüllen, dachte Ruth, als sie wieder ins Haus ging.
    Sie entdeckte

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