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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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neues Buch auf holländisch gelesen.«
    Das also ist es! dachte Ruth. Wims Frau glaubte, der schlimme Freund in Ruths neuem Roman sei Wim gewesen, und Wim hatte dieser Interpretation nicht widersprochen. Da die Schriftstellerin in Ruths Roman von der Begierde nach ihrem jungen holländischen Freund übermannt wird – weshalb sollte Wim seiner Frau ausgeredet haben, das zu glauben? Und nun stand die übergewichtige Harriët mit zwei Pünktchen auf dem e und ihren lecken Brüsten neben einer durchtrainierten, schlanken Ruth Cole – einer äußerst attraktiven, nicht mehr ganz jungen Frau, die (wie Wims arme Frau glaubte) die ehemalige Geliebte ihres Mannes war!
    »Du hast ihr gesagt, daß wir ein Liebespaar waren, stimmt ’s?« wollte Ruth von Wim wissen.
    »Na ja, das waren wir doch in gewisser Weise«, entgegnete Wim verschlagen. »Ich meine, wir haben doch im selben Bett geschlafen. Du hast mir gewisse Dinge erlaubt …«
    »Wir haben nie miteinander geschlafen, Harriët«, sagte Ruth zu der verständnislosen Frau.
    »Ich hab dir doch gesagt, daß sie kein Englisch versteht«, sagte Wim.
    »Dann sag es ihr, verdammt noch mal!«
    »Ich habe ihr meine eigene Version erzählt«, entgegnete Wim lächelnd. Die Behauptung, mit Ruth Cole geschlafen zu haben, gab ihm offenbar eine gewisse Macht über Harriët. Sie wirkte so niedergeschlagen, als spielte sie mit dem Gedanken, sich umzubringen.
    »Hören Sie zu, Harriët, wir waren nie ein Liebespaar«, unternahm Ruth einen neuen Versuch. »Ich habe nicht mit Ihrem Mann geschlafen. Er lügt.«
    »Jetzt bräuchtest du deinen holländischen Übersetzer«, sagte Wim zu Ruth; er machte sich ungeniert über sie lustig.
    In dem Moment betrat Harry Hoekstra die Szene. Ruth hatte nicht gemerkt, daß er ihr in die Hotelhalle gefolgt war, wie jeden Vormittag. »Ich kann für Sie übersetzen«, bot er Ruth an. »Sie brauchen mir nur zu sagen, was Sie ihr sagen wollen.«
    »Ach, Sie sind es, Harry!« sagte Ruth, als würde sie ihn seit Jahren kennen, als sei er ein alter Freund. Seinen Namen wußte sie nicht nur, weil in der Buchhandlung von Harry, dem Polizisten, die Rede gewesen war, sie kannte ihn auch aus dem Zeitungsbericht über den Mord an Rooie. Außerdem hatte sie seinen vollständigen Namen auf den Briefumschlag geschrieben, der ihren Augenzeugenbericht enthielt.
    »Hallo, Ruth«, sagte Harry.
    »Sagen Sie ihr, daß ich nie mit ihrem verlogenen Mann geschlafen habe«, sagte Ruth zu Harry, der zu Harriëts Verblüffung holländisch mit ihr zu reden begann. »Sagen Sie ihr, ich habe ihrem Mann erlaubt, neben mir zu onanieren, mehr nicht«, sagte Ruth. »Und als er dachte, ich würde schlafen, hat er sich noch einmal einen runtergeholt.«
    Was Harry übersetzte, schien Harriët aufzuheitern. Sie drückte Wim das Baby in die Hand, sagte etwas zu ihm und wandte sich zum Gehen. Als Wim ihr folgte, sagte sie noch etwas.
    »Sie hat gesagt: ›Nimm du ihn, er ist naß‹«, übersetzte Harry. »Dann hat sie ihn gefragt: ›Warum wolltest du, daß ich sie kennenlerne?‹«
    Als das Paar mit dem Säugling das Hotel verließ, sagte Wim in wehleidigem Ton etwas zu seiner wütenden Frau. »›Weil ich in ihrem Buch vorkomme!‹« übersetzte Harry.
    Als die drei verschwunden waren, stand Ruth allein mit Harry in der Halle – allein bis auf ein halbes Dutzend japanische Geschäftsleute, die von der Rezeption aus gebannt die Übersetzungsübung verfolgt hatten. Wieviel davon sie verstanden hatten, war unklar, jedenfalls starrten sie Ruth und Harry ehrfürchtig an, als wären sie soeben Zeugen eines Paradebeispiels für jene kulturellen Unterschiede geworden, die sie ihren japanischen Landsleuten nur schwer begreiflich machen konnten.
    »Soso … Sie folgen mir also immer noch«, sagte Ruth schleppend zu ihrem Polizisten. »Hätten Sie was dagegen, mir zu sagen, was ich getan habe?«
    »Ich glaube, Sie wissen recht gut, was Sie getan haben. Es ist nicht allzu schlimm«, sagte Harry. »Machen wir doch einen kleinen Spaziergang.«
    Ruth warf einen Blick auf ihre Uhr. »Ich habe in einer Dreiviertelstunde hier ein Interview«, sagte sie.
    »Wir sind rechtzeitig zurück«, versicherte ihr Harry. »Es ist nur ein kurzer Spaziergang.«
    »Und wohin?« fragte Ruth, aber sie glaubte es zu wissen.
    Sie ließen ihre Sporttaschen an der Rezeption. Instinktiv ergriff Ruth Harrys Arm, als sie in den Stoofsteeg einbogen. Es war so früh am Tag, daß sie die beiden fetten Frauen aus Ghana noch

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