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Wo bist du

Wo bist du

Titel: Wo bist du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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vielleicht denkst, aber wenn du nicht gewollt hättest, dass ich mich an sie binde, hättest du sie nicht herschicken dürfen. Ich bitte mir ja nur das Recht aus, sie lieben zu dürfen. Hab keine Angst, mir zu helfen, du bleibst immer ihre Mutter, das schwöre ich dir. Gib mir ein Zeichen, ein winziges Zeichen, eine kleine Hilfe, das kannst du doch wohl tun, oder?«
    Die Tränen, die sie die ganze Zeit zurückgehalten hatte, rannen ihr jetzt über die Wangen. Sie saß am Schreibtisch ihres Mannes, das Foto an die Brust gedrückt, die Stirn auf der Arbeitsplatte. Als sie den Kopf wieder hob, betrachtete sie nachdenklich die kleine Holzschatulle, die vor ihr stand. Der Schlüssel lag direkt daneben. Plötzlich sprang sie auf und lief die Treppe hinunter. An der Haustür rief sie Thomas zu: »Du bleibst hier, iss dein Sandwich und sieh fern. Wenn Papa nach Hause kommt, sag ihm, ich rufe ihn später an, und mach vor allem niemandem die Tür auf, hörst du?«
    »Was ist denn los?«
    »Später, mein Liebling, jetzt habe ich wirklich keine Zeit. Tu nur, was ich dir sage, ich verspreche dir, dass wir alles andere später nachholen.«
    Sie eilte zum Wagen, schob fieberhaft den Schlüssel ins Zündschloss und ließ den Motor an. Sie fuhr schnell, überholte alle, die vor ihr waren, mal auf der rechten, mal auf der linken Spur, was ihr wildes Hupen einbrachte, doch das war ihr gleichgültig. Ihr Herz schlug zum Zerspringen, und sie beschleunigte noch das Tempo. Fast wäre sie von der Fahrbahn abgekommen, und es gelang ihr nur knapp, sich auf der Ausfahrt 47 zu halten. Zehn Minuten später stellte sie den Wagen ab. Ohne dem Polizisten, der sie zurechtwies, Beachtung zu schenken, hastete in das Gebäude. So schnell sie konnte, lief sie die Stufen einer Wendeltreppe hinauf. Am Ende eines Gangs blieb sie vor einer Tür mit einem Bullauge stehen, ließ den Blick durch den Raum gleiten, bis sie wieder zu Atem gekommen war, und stieß dann langsam den Türflügel auf.
    In der hintersten Ecke der Bar des Terminals 1 am Flughafen von Newark saß ein vierzehnjähriges Mädchen allein an einem Tisch und blickte durch das Fenster auf die Rollbahn.
    Mary ging langsam auf sie zu und nahm ihr gegenüber Platz. Lisa spürte ihre Anwesenheit, doch ihr Blick blieb weiter auf die Flugzeuge gerichtet. Wortlos legte Mary eine Hand auf die von Lisa und überließ sie ihrem Schweigen, bis Lisa, ohne sich umzuwenden, sagte: »Von hier ist Mum also abgeflogen?«
    »Ja«, flüsterte Mary, »von hier. Sieh mich an, nur ganz kurz, ich möchte dir etwas Wichtiges sagen.«
    Langsam wandte Lisa den Kopf um und sah Mary in die Augen.
    »Als ich dich zum ersten Mal mit deinem Bündel in deinen nassen, viel zu engen Kleidern sah, hätte ich nie gedacht, dass ein so kleines Mädchen so viel Platz in meinem Herzen einnehmen könnte. Ich glaube, ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so viel Angst wie heute. Ich möchte, dass wir uns ein Versprechen geben, ein Geheimnis zwischen uns. Versuch nicht mehr wegzulaufen, und wenn du mit neun-zehn Jahren, am Tag deines Schulabschlusses noch immer der Meinung bist, dass dort unten dein Zuhause ist, wenn du noch immer dorthin zurückwillst, dann werde ich dich selbst zu diesem Flughafen bringen, das schwöre ich dir. Warst du die ganze Zeit über hier, ohne dass jemand dich bemerkt hat?«
    Lisas Züge entspannten sich, ihr Mund verzog sich zu einem schüchternen Lächeln.
    »Nein. Fahren wir jetzt nach Hause?«
    Sie erhoben sich, Mary ließ ein paar Dollar auf dem Tisch zurück, und sie verließen die Bar. Beim Auto angelangt, warf Mary den Strafzettel, der hinter der Windschutzscheibe klemmte, über die Schulter. Lisa stellte ihr eine Frage: »Wer bist du für mich?«
    »Ich bin dein Paradox.«
    »Was ist das Paradox?«
    »Das erkläre ich dir heute Abend, wenn du im Bett liegst. Jetzt habe ich Angst um meine Augen, und du hast nichts dabei, um im Auto Pfannkuchen zu machen!«
    Vom Autotelefon aus rief sie zu Hause an, Philip hob sofort ab.
    »Sie ist bei mir, wir kommen jetzt nach Hause, ich liebe dich.« Dann rief sie einen Kommissar an, der in wenigen Tagen seine Versetzung zur Kriminalpolizei von San Francisco beantragen würde. Die Stadt soll wirklich schön sein, das wusste er von einer gewissen Nathalia, die dort arbeitete.
    Als sie nach Hause kamen, stürzte Thomas auf Lisa zu, die ihn fest in die Arme nahm. Die beiden Erwachsenen brachten einen Teller mit Obst, doch Lisa hatte keinen Hunger. Sie war müde und

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