Wo Dein Herz Zu Hause Ist
Stadt und in der Nähe des Piers wohnten. In meinem Zimmerchen, von dem man auf Mams gepflegten Garten runterschauen konnte, habe ich mich wohlgefühlt. Ich habe den Anblick der Sonnenstrahlen gemocht, die an schönen Tagen ins Wohnzimmer gefallen sind. Und die Küchengerüche, die mir in dem Moment in die Nase stiegen, in dem ich zur Haustür hereinkam, habe ich auch geliebt. Mam hat ständig gekocht. Sie hat um ein Uhr damit angefangen, das Abendessen vorzubereiten, das um sechs Uhr fertig sein sollte. Sie hat gern Apfelkuchen, Rhabarberkuchen und Rührkuchen gebacken. Jetzt macht sie das nicht mehr. Es gibt keine Küchengerüche mehr ihm Haus. Das Wohnzimmer kommt mir düsterer, älter und irgendwie schäbiger vor. Im Garten wuchert das Unkraut, und mein Zimmer ist nicht mehr mein Zimmer.
Er
hat alles kaputtgemacht, und jeden Tag jagt er mir noch ein bisschen mehr Angst ein, obwohl ich jetzt schon so große Angst habe.
13 Ein Monat, der sich anfühlt wie ein Jahr
Der Weg die Treppen hinauf schien länger als je zuvor. Drei Etagen und dann noch die umgebaute Mansarde: vier Stockwerke. Und weil sie ohnehin so erschöpft, angespannt, ängstlich und unsicher war, glaubte Harri, sie würden niemals oben ankommen.
Ich könnte einen Herzinfarkt bekommen. Das wäre überhaupt kein Wunder. Poch poch, poch, poch, poch. Es schlägt viel zu schnell. Keine Panik, Harri. Reiß dich zusammen, und vor allem, fall jetzt nicht hier auf der Treppe tot um.
Als sie endlich vor der Tür zum Heiligtum ihres Vaters standen, drehte er sich zu ihr um und lächelte sie an, bevor er aufschloss.
Duncan war in einem Monat um zehn Jahre gealtert. Als Harri in die Auffahrt zu ihrem Elternhaus eingebogen war, hatte ihr Vater auf Nanas Bank gesessen, und als sich ihre Blicke trafen, hatte sich ihre ganze Wut in nichts aufgelöst. Er wirkte alt, Falten hatten sich in sein Gesicht gegraben, und als er aufstand, unsicher und mit schwimmenden Augen, schien er unerklärlicherweise kleiner geworden zu sein. Der hünenhafte Held ihrer Kindheit mit der volltönenden Stimme, der sich einen Monat zuvor in einen lügnerischen und betrügerischen Fremden verwandelt hatte, war jetzt einsam, verängstigt und wusste nicht, wie es weitergehen sollte.
Dieses Gefühl kenne ich
.Ihr Ärger verflog, und an die Stelle trat Mitleid. Duncan schien das erste Mal in seinem Leben unsicher zu sein. Er ließ den Kopf hängen, und obwohl er ihren Blick erwiderte, sah nicht der Mann sie an, den sie kannte. Sie konnte seinen Schmerz nicht ertragen. Deshalb lächelte sie, ging auf ihn zu und umarmte ihn.
«Ich habe einfach ein bisschen Zeit gebraucht, Dad.»
Er nahm sie in die Arme, und dann weinte ihr Dad, der alte Kämpfer, vor der Tür bei Nanas Bank, weil er fürchtete, die Liebe seiner Tochter Harri zu verlieren.
Gloria wartete in der Küche auf sie. Gerade hatte sie nach dem Shepherd’s Pie im Herd gesehen, und nun schlang sie die Finger ineinander, damit sie sich nicht vor lauter Nervosität ständig an den Hals fasste.
«Da bist du ja, Liebling», sagte sie, glücklich darüber, ihren niedergeschlagenen Ehemann Arm in Arm mit Harri hereinkommen zu sehen.
Duncan sah so schwach aus, und mit einem Mal schien es merkwürdig, als wäre es in einer anderen Zeit gewesen, dass Glorias sensible Nerven im Haushalt der Ryans so oft Grund zur Sorge gewesen waren. Natürlich hatten Gloria die Ereignisse, durch die sie schließlich in diese schreckliche Lage geraten waren, schwer mitgenommen. Sie hatte sich viele Gedanken darum gemacht, welche Folgen der Entschluss, die Wahrheit zu sagen, für ihre Tochter und ihren Sohn und ihr künftiges gemeinsames Leben haben würde. Sie hatte befürchtet, sie zu verlieren – vor allem Harri.
Wird sie sich von uns abwenden? Wird sie irgendwo ihre andere Familie finden? Wird sie uns nicht mehr brauchen oder wollen?
Doch tief in ihrem Inneren hatte Gloria eine Ruhe gefunden, über die sie selbst ein wenig verwundert war.
Wir werden es schaffen. Wir haben uns,
und es wird alles gutgehen.
Sie war traurig gewesen und hatte geweint, denn viele schmerzliche, verdrängte Erinnerungen waren nun wieder hochgekommen. Sie hatte das Gesicht ihres kleinen toten Mädchens so deutlich vor sich gesehen, als hinge ein Foto vor ihr an der Wand. Sie rief sich die Form der winzigen Stupsnase ins Gedächtnis und die totenbleichen Rosenlippen. Das Baby hatte einen wilden Schopf schwarzer Haare gehabt, genau wie sein Zwillingsbruder. Seine Nägel waren
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