Wo der Elch begraben liegt
üblichen Sachen eingepackt, plus ein paar warme Pullover, Halstuch, Mütze, Fausthandschuhe und ein Paar alte Schnürstiefel aus der Zeit am Gymnasium. Necessaire, Schminktasche, Block, Stifte und Bücher hatte sie in ihren Rucksack gestopft. Äußerst widerwillig hatte sie sich von ihrer Mutter den Schlüssel zum Ferienhaus aufschwatzen lassen, aber da dieses nun einmal ihr und Richard zufiele, wenn Mona einmal nicht mehr da war, wäre es doch eine Schande, wenn man es vernachlässigte… Als Frida sich zu weigern versuchte, hatte Mona ihr unmissverständlich klargemacht, dass der Tod schneller kommen konnte, als man vermutete, zumal sie nach Carstens Verrat, der im Großen und Ganzen mindestens mit dem Völkermord in Ruanda vergleichbar war, ohnehin nichts mehr hatte, wofür es sich zu leben lohnte. Frida hatte es aufgegeben zu protestieren und den verfluchten Schlüssel genommen und versucht, ihn ganz tief in der Handtasche zu verstecken. Schließlich hatte sie ihn in ein Taschentuch gewickelt und unten in den Rucksack gelegt, wo er dann auch bleiben sollte. In einem leicht irrationalen Anfall hatte sie auch ihre einzige Zimmerpflanze genommen– ein blaulilafarbenes Usambaraveilchen–, sie in eine Plastiktüte gewickelt und obendrauf gelegt. Es war ihr falsch vorgekommen, das Einzige, was nun in der kleinen Wohnung hoch oben auf dem windigen Hügel lebte, aufzugeben oder einfach wegzuwerfen. Vorsichtig hatte sie den Rucksack zusammengeschnürt, damit die haarigen kleinen Knospen, die unter den fast verblühten Kronblättern sichtbar waren, nicht abbrachen.
Die Temperatur fiel, und der feuchte Matsch auf dem Bürgersteig verwandelte sich in spiegelglatte Flächen. Als Zug Nr. 172 langsam aus dem Göteborger Hauptbahnhof fuhr, ging der Regen wieder in Schnee über.
Frida blickte aus dem Fenster und beobachtete ein paar Bauarbeiter, die ausgediente Lattenroste aus dem nahe am Bahnhof gelegenen Hotel der Heilsarmee warfen. Anscheinend sollte es renoviert werden. Ein atemloser Teenager mit langem Mantel, schwarz gefärbtem Haar und einem Gitarrenkasten aus rostfreiem Stahl stolperte durch den Mittelgang und suchte nach einem Platz. Er stopfte die Gitarre genau über Frida auf die Gepäckablage und setzte sich laut ausatmend in die Reihe hinter ihr. Frida sah das blaue Neonlicht der Göteborgs-Posten und glaubte, ein schwaches Licht aus der Repräsentationsetage der Familie Hjörnes ganz oben im Gebäude zu erkennen. Dort sah es warm und einladend aus. Sie verspürte das deutliche Gefühl, in die falsche Richtung zu fahren. Fort vom Zentrum des Geschehens, hin zu… einer Art Zwischenspiel.
Reifenfirmen, hingeschmierte Graffiti und Containerlager wurden vom Licht der Müllverbrennungsanlage Sävenäs abgelöst. Das Wasser tröpfelte von ihrem Mantel herab. Es roch nach feuchter Wolle.
Sie schloss die Augen. Die Bilder vom Silvesterabend kamen ihr in den Sinn. Der Abend war im wahrsten Sinne zu einer Art Antiklimax geworden. Cilla hatte lang und breit alle Partys erörtert, zwischen denen sie wählen konnten, doch als es darauf ankam, gab es nicht so viele Einladungen. Es hatte damit geendet, dass sie bei Cilla saßen und Sekt tranken und danach in die Innenstadt gingen und sich volllaufen ließen. Cillas Thema des Abends waren die negativen Auswirkungen, die das Zusammensein mit einem verheirateten Mann mit sich brachte, da man die Feiertage nicht gemeinsam verbringen konnte, sowie verschiedene Szenarien, die beschrieben, wie lange es dauern würde, bis Ahlsén seine Frau verließ, und auf welche Weise er es ihr klarmachen könne. Fridas immer wiederkehrendes Gesprächsthema war natürlich Peter Engström. Seine Verdienste, seine Nachteile, wie brutal er Schluss gemacht hatte und was er wohl an diesem Abend machte. Eine Litanei, die zu nicht mehr als einem Gefühl totaler Verlassenheit führte. Zwecks Aufmunterung hatten sie sich von zwei Typen aus Trollhättan zu Drinks einladen lassen, die jedoch eigentlich nur darüber reden wollten, wie viele Mädchen der Ansicht waren, sie seien die nettesten Kerle in der Bar. Frida und Cilla waren anderer Meinung, was die Stimmung erheblich trübte. Alles in allem war es ein völlig sinnloser Abend geworden, der mit unangenehmer Übelkeit und dem Gefühl endete, dass die meisten da draußen leider Idioten waren. Das Taxi nach Hause in die Storhöjdsgatan hatte ein Vermögen gekostet.
Frida schüttelte die Erinnerung ab und holte Obst, Mineralwasser und Abendzeitungen aus
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