Wo der Elch begraben liegt
voller Weihnachtsurlauber, doch zwei Plätze auf der anderen Seite des Tisches, Frida gegenüber, waren frei. Die jungen Männer platzierten die Frau auf dem Platz am Gang. Mit einem tiefen Seufzer und ohne die Spur eines Lächelns sank sie auf den Sessel. Das neunjährige Mädchen legte den Säugling in den nahe der Toilette stehenden Kinderwagen und sprang auf den Sitz gegenüber von Frida. Einem der älteren Männer gelang es, einen Platz am Tisch schräg gegenüber zu ergattern. Die anderen mussten stehen. Um Augenkontakt zu vermeiden, blickte Frida starr aus dem Fenster. Die Landschaft draußen setzte sich wieder in Bewegung. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie das kleine Mädchen seine rote Mütze abnahm, sein halblanges dunkles Haar glättete, sich aus der gelben Jacke schälte und sie wie eine Decke über sich legte. Das Mädchen stellte der alten Frau in einer fremden Sprache eine lange Frage. Das einzige Wort, das Frida heraushören konnte, war: Mami. Die Frau war also offensichtlich die Mutter. Wie alt sie aussah. Die Frau ermahnte ihre Tochter zur Ruhe, schloss die Augen und schien in tiefen Schlaf zu fallen.
Frida begann den Expressen durchzublättern und nahm eine Schokolade aus der Kiosktüte. Es entging ihr nicht, dass das kleine Mädchen sie beobachtete, während sie die Verpackung öffnete, ein Stückchen Milchschokolade abbrach und es sich in den Mund steckte. Das Mädchen schaute wie gebannt auf Fridas Lippen, dann auf die Schokolade und dann wieder zurück auf ihre Lippen. Frida konnte nicht umhin, über das grenzenlose Interesse des Mädchens zu lächeln. Sie hielt ihm die Schokolade hin und forderte es auf, sich davon zu nehmen. Die Kleine lachte übers ganze Gesicht. Plötzlich beugte sich der Mann, der sich an den Tisch auf der anderen Gangseite gesetzt hatte, zu dem Mädchen herüber und erteilte ihm eine nachdrückliche Ermahnung in der fremden Sprache. Das Lächeln des Mädchens verschwand, und es warf Frida einen um Entschuldigung bittenden Blick zu. Frida lächelte aufmunternd.
Der Zug passierte eine Gleisbaustelle, die Fahrt verlangsamte sich, und die Waggons ruckelten und schaukelten. Die Geschwindigkeit nahm wieder zu, der Zug neigte sich heftig nach rechts und bremste scharf ab. Aus dem Augenwinkel sah Frida, wie das kleine Mädchen plötzlich von seinem Sitz hochfuhr und auf den Tisch sprang. Mit der linken Hand an die Hutablage geklammert, gelang es ihm, mit der rechten die schwere E-Gitarre abzufangen, die genau in diesem Augenblick auf Fridas Kopf zu fallen drohte.
» Ich hab’s«, sagte das Mädchen, während es halb an der Decke hing. Frida stand auf und griff nach dem Metallkasten, der sich aber nicht mehr zurückschieben ließ.
» Du meine Güte, das war knapp! Es ist wohl besser, wenn wir den woanders hinlegen.«
Sie fasste nach dem Griff und hievte den schweren Gitarrenkoffer auf den Schoß des Mannes hinter ihr, der von der Bewegung erwachte. Er stotterte eine Entschuldigung und drängte sich schlaftrunken in Richtung Gepäckraum.
Frida sank wieder auf ihren Sitz. Das Mädchen setzte sich und legte die Jacke über seine Beine.
» Ich hoffe, es war nicht schlimm, dass ich auf dem Tisch gestanden habe«, sagte das Mädchen. » Ich dachte, das wär bestimmt nicht so schön, einen Kasten auf den Kopf zu bekommen.«
» Nein, wirklich nicht«, erwiderte Frida leicht benommen. » Du hast mir vermutlich das Leben gerettet. Was für ein Glück, dass du das bemerkt hast. Vielen Dank.«
» Gern geschehen. Aber du hättest bestimmt dasselbe getan.«
» Das hätte ich, obwohl ich sicher nicht so schnell wie du gewesen wäre. Du warst ja flink wie eine Meise.«
» Ist das gut?«
» Eine Meise, meinst du? Ja… das ist ein sehr flinker kleiner Vogel. Es ist gut, so schnell zu sein wie eine Meise.«
» Schön. Meise? Die pfeift doch sicher auch, oder? Das kann ich nämlich.«
» Toll«, erwiderte Frida. » Aber vielleicht machst du es besser nicht hier, sonst wachen die ganzen Leute auf. Und nochmals vielen Dank.«
Frida lehnte sich zurück und widmete sich wieder ihrer Zeitung. Das Mädchen schaute nach draußen. Einige Zeit später war auch der Mann eingeschlafen, der es ermahnt hatte. Frida zeigte auf den schlafenden Mann, damit das Mädchen verstand, dass es jetzt freie Bahn hatte. Die Kleine strahlte und nahm ein großes Stück Schokolade.
» Danke, ich liebe Schokolade.«
» Das hab ich mir fast schon gedacht«, sagte Frida und schmunzelte. » Bekommst du keine
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