Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Jahrzehnten nie getraut. Manfred schaute noch mal zum Bild an der Wand, bevor er sprach: „Alles ist in Ordnung. Alles ist bestens... Ich habe mich übrigens total gefreut, als du vorhin Freund zu mir gesagt hast.“
Der Professor zwinkerte freundlich. „Du gehst nun ins Hotel nebenan, dort habe ich dir ein Zimmer gebucht. Ich muss mich hinlegen. Nachher fahren wir essen. Es kommt noch ein junger Student mit. Er studiert Soziologie, hochschlau aber grundfaul. Er jobbt bei mir, hilft mir hier und da, Ausgehen tue ich nicht mehr ohne Begleitung. Ihr werdet euch verstehen.“
Manfred freute sich auf das Vergnügen. „Alles klar. Wir müssen dann unbedingt noch klären, ob der Urknall...“
„Wenn es den denn überhaupt gegeben hat. Der Banalbolschewik Williy Di...“
Weiter kam er nicht. Die Haushälterin trat ein und bestand auf eine Ruhepause für den Professor.
*
„Wie soll ich das bloß schaffen, jetzt nicht wehmütig zu werden.“
„Werd‘ es doch einfach.“
Eigentlich nimmt eine solch sachliche Darlegung möglicher Gefühlsentwicklungen der Seele jede Lust, sich anschließend noch auszutoben. Aber Manfreds Gemütsbewegung hatte zu heftig um Aufmerksamkeit gebeten, als dass sie sich jetzt noch wegrationalisieren ließ. Umgehend und mit dem Vorspiel eines tiefen Augenblicks nahmen sich Manfred und Conny in die Arme. Sogleich schienen sich die beiden wie um die Wette zu drücken. Manfred und Conny ließen sich treiben, ihre Arme und Hände ließen sich nicht los und bestanden in jedem Moment ihrer umarmenden Tätigkeiten auf Unvergänglichkeit. Wenn die Zuneigung so groß ist, warum sollte sie sich dann von so etwas Banalem wie Zeit Grenzen setzen lassen?
Erst irgendwann war dem Bedürfnis nach Ausdruck der Verbundenheit dann Genüge getan. Erneut warf Manfred einen Blick in sein ehemaliges Zimmer.
„Das ist ja alles beeindruckend hier... Dreifachverglasung, energetische Sanierung, neue Heizungen, neue Küche, neue Fliesen, neues Bad, neue Balkone. Wie teuer war das eigentlich?“
„Rund sechs Zehntausender für die ganze Wohnung.“ Bald nach Manfreds Auszug vor 27 Jahren hatte Conny das Domizil günstig gekauft. Und mit einer Erbschaft ihrer Lebensgefährtin hatte die Altbauwohnung vor einiger Zeit auf hohem Niveau instand gesetzt werden können. Altengerecht.
„Lass uns bitte nicht in meiner alten Stube Tee trinken. Mir ist nach frischer Luft.“
Die elektrische Markise, ebenfalls ein Zeuge der umfangreichen Wohnungsmodernisierung, schützte vor den heißen Sonnenstrahlen, als Conny und Manfred auf dem Balkon, der von der Küche abging, Kaffee und Kuchen zu sich nahmen. Im Innenhof, in dem die ehemaligen Garagen durch eine sorgfältig gestaltete Grünanlage ersetzt worden waren, spielten zwei kleine Kinder. Vielleicht so alt wie ich 1945, dachte Manfred.
Im anschließenden Gespräch wollten die zahlreichen Erinnerungen an ihr langes Zusammenleben nicht richtig fließen, denn das wirkliche Interesse galt Manfreds Erkrankung. Die Totenstille, die urplötzlich eintrat, als die Kinder den Hof verließen, schien genau das passende Zeichen zu sein, um zur Sache zu kommen. Manfred begann mit allgemeinen Darlegungen zum Verlauf seiner Krankheit. Dann erzählte er von seinen Schuldgefühlen, allerdings legte er dabei nur die Wahrheiten dar, die Conny hören durfte.
„Und auch dir gegenüber mache ich mir Vorwürfe.“
„Halte es einfach für wahrscheinlich, dass auch ich wegen des ein oder anderen Vorfalls ein schlechtes Gewissen haben könnte. Das erleichtert es dir, das zu sagen, was du sagen willst.“
„Das wird an meine Schlechtigkeit nicht annähernd rankommen können“, wollte Manfred Conny schon einmal auf Unerhörtes vorbereiten.
„Mach‘ es gern spannend, mein Lieber“, erwiderte Conny beim Nachschenken des Tees, als sie Manfred mit halboffenen Mund in die Luft starren sah. „Ich kann das gebrauchen. Ich lebe gut, aber es ist inzwischen zu viel Langeweile dabei.“
Manfred brachte noch eine Sekunde, um wieder ganz da zu sein. „Tja, Conny... Die fehlenden eintausend Mark für das Auto damals, darum geht es.“
Conny hatte einmal von ihrem Vater ein Auto geschenkt bekommen, dass sie umgehend für sechs tausend Mark wieder verkauft hatte. Sie kam mit dem Bargeld nach Hause. Einige Minuten später war sie in Manfreds Zimmer gestürmt und erzählte, dass sie am Kiosk gerade mit einem der Tausendmarkscheine bezahlt haben muss. Daraufhin suchte Conny eiligst den
Weitere Kostenlose Bücher