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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Gohlke
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drin und trank das Nachgeschenkte dann schnell aus, damit du nichts merkst.“
    „Also kann man von so 0,15 Liter ausgehen.“
    „Schön, dass du mich nicht dazu zwingst, über die zweite Dezimalzahl genauer nachzudenken.“
    Aaron blieb nüchtern. „Oft oder öfter?... Wie oft hast du das gemacht?“
    „Na, vielleicht so jedes zweieinhalbte Mal. Wir waren ja nicht immer allein an der Theke. Wenn auch ziemlich oft.“
    Aaron stand auf und setzte sich an seinem Schreibtisch. Manfred sah ihn dort auf einem Papier rumkraxeln. Kurz darauf kam Aaron zu Manfred zurück, schaute auf seine Notizen und sprach: „Wenn man davon ausgeht, dass du 15 Jahre lang im Durchschnitt zwei Mal die Woche in meiner Kneipe warst, dann hast du circa 300 mal 0,15 Liter Bier gestohlen. Macht Summa Summarum 45 Liter Bier. Unter Einbeziehung der Inflation, umgerechnet in Euro, macht das circa 330 Euro.“
    „Kann sein. Hört sich realistisch an.“
    „Legt man ein Ordnungsgeld mit Mahngebühren obendrauf, kommt man auf 500 Euro.“
    Manfred zuckte leicht mit den Schultern. „Du wirst wissen, warum du das so genau wissen willst.“
    In der Tat wusste Aaron das. Er beugte seinen Oberkörper nach vorn, im selben Moment hielt er die Hand auf. „In Raten würde es teurer werden.“ Aarons Augen blieben fest auf Manfreds Gesicht ausgerichtet.
    Kaum hatte Manfred den Gedanken an einen Scherz aufgenommen, hatte er ihn auch schon wieder verworfen. Ein Aaron witzelt nicht, wusste er.
    „Du bist zu mir gekommen, um dein Schuldgefühl loszuwerden. Bezahle deine Schuld und ich verzeihe dir.“ Aarons Blick blieb weiterhin ganz selbstverständlich sachlich. „Das ist ein erprobtes Verfahren. Denken wir nur an den Ablasshandel.“
    „Natürlich zahle ich dir die Rechnung“, beeilte sich Manfred zu sagen. Keinen Moment wollte er den Anschein geben, sich diesbezüglich verweigern  zu wollen.
    „Ich sagte dir ja bereits, dass ich ein besonderes Verhältnis zur Frage der Schuld habe. Unser Land ist überzeugt davon, dass auch ein schlechtes Gewissen zur Ware gemacht werden kann. In dem Wissen um den Zusammenhang von meiner Familiengeschichte, Warengesellschaft und KZ fordere ich von dir das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland ein. Verstehst du das?“
    Manfred stockte. „Alles klar“, wollte er sich auf einmal betont kurz fassen. „Du wirst über alles gründlich nachgedacht haben. Ich gebe dir tausend Euro, und keine Nachfrage warum.“
    Manfred hatte schon vor seinem Besuch gewusst, dass Aaron nicht auf Rosen gebettet ist. Wahrscheinlich hätte er im Laufe des Gesprächs sowieso gefragt, ob er mit der einen oder anderen Anschaffung helfen kann. Dass das jetzt in der Form einer Rechnung gelöst wurde, passte ihm überhaupt nicht; er hätte sich eine weniger geschäftliche Art des Wiedersehens mit einem Menschen gewünscht, bei dem er sich an der Theke eineinhalb Jahrzehnt e gut hatte entspannen können. Manfred fragte sich, ob er Aarons widersprüchliches Verhalten irgendwie fassen kann. Augenblicklich fielen ihm KZ, ermordete Eltern und ein halbes Jahrhundert Einsamkeit ein; ein kalter Schauer, der ihm über den Rücken lief, riet ihm, jedes weitere Nachdenken zu unterlassen.
    Manfreds Begeisterung und Fröhlichkeit, die ihm nach Eintritt in die Hausgemeinschaft befallen hatte, war dahin, als er aufstand und mit einem ausführlichen Abschied im langen Gemeinschaftsraum der Hausgemeinschaft seinen Respekt ausdrückte. Das eingeschenkte Kaffeegetränk schmeckte ihm nicht.
    Es war bitter.
     
    *
     
    Nach dem Besuch bei Aaron hatte sich Manfred ein Hotelzimmer genommen, eine Pizza und eine Flasche Wein aufs Zimmer kommen lassen und sich mit beidem bei der Lektüre eines an der Rezeption gegoogelten und ausgedruckten Aufsatzes mit der Überschrift „Geschichte und Zukunft von Hochhäusern“ zu entspannen versucht. Schon länger verweilte Manfred mittlerweile über der Hypothese einer Althistorikerin, dass in verschiedenen Mietskasernen des alten Roms aufgrund von, wie es die Wissenschaftlerin schrieb, „antipatriarchalen Sehnsüchten“ neue Formen des Zusammenlebens ausprobiert worden waren. Um beim Nachdenken über diese Mutmaßung halbwegs ernsthaft bleiben zu können, fragte Manfred sich gerade, ob solche Versuche wohl auf das oberste Geschoss der antiken Wohnanlagen beschränkt geblieben waren. Zu einer Antwort kam er nicht. Das Telefon klingelte.
    „Hey“, meldete sich Manfred.
    „Mit diesem Wort hast du mich zuletzt 1968

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