Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Sogleich nahm er sich wieder die Hausarbeit. Manfred konnte sehen, dass er jetzt das Kapitel über die Keller-Gestapo las. Aaron schaute nicht auf, als jemand an die Tür klopfte.
Irgendwann stellte Aaron das Bier zu Manfred. „Das geht auf Kosten des Hauses.“
„Danke.“
Aaron schaute zur Tür. „Ich würde mir deine Arbeit gern ausleihen.“
„Klar.“
„Ist doch klar, was die Schweine dort im Keller gemacht haben. Verhört, gefoltert. Vergewaltigt und getötet vielleicht auch.“
„Nichts besonderes, sozusagen.“
Aaron guckte Manfred ernst an. Zuckte er etwa, fragte sich Manfred. Aaron war ein Jahrzehnt älter als Manfred. Im „Eck“ wusste jeder, dass er keine Familie hat. Einige vermuteten Schlimmes.
„Falsch, Manfred. Jedes Nazi-Verbrechen ist etwas Besonderes.“ Aaron setzte sich auf einen Hocker, bevor er weitersprach. „Man müsste diese selbstzufriedene Gesellschaft dreißig Jahre damit ärgern, dass man über jedes einzelne Verbrechen berichtet. Und wenn dabei nur einen derjenigen, die Dreck am Stecken haben, das schlechte Gewissen plagt, dann hat es sich gelohnt.“
Aaron drehte Manfred den Rücken zu. Er wischte ein Wandbord sauber, nahm dafür die dort gelagerten Aschenbecher runter. Hat er dort, überlegte Manfred, vorhin nicht auch schon sauber gemacht?
*
„Sechs Wochen lang hast du fast täglich mit Manfred zu tun und redest ständig von ihm.“ Elisabeth guckte brummig zur teuren Couchgarnitur. Die hätte sie auch gern gehabt.
„Du bringst dich in Teufels Küche, wenn du den Kontakt nicht abbrichst. Was findest du überhaupt an solch einem Taugenichts. Statt in seinem gelernten Beruf weiter zu arbeiten, zieht er mit irgendwelchen Haschleuten zusammen. Arbeitet nur gelegentlich und will alles besser wissen. Solche Leute brauchen wir.“
„Elisabeth, er wohnt nicht...“
„Nein, Nein, Ilona. Ich bin eine moderne Frau. Gerade deswegen frage ich mich, was der eigentlich will. Schimpft auf die Gesellschaft, aber ohne die könnte er gar nicht so leben wie er das tut. Was hat der denn bisher geleistet in seinem Leben.“
„Jetzt hör' aber auf!“ Elisabeth hob den Kopf, es kam selten vor, dass Ilona energisch wurde; Streit ging sie gewöhnlich aus dem Weg. „Du redest ja wie Werner.“
Von neuem schaute Elisabeth durch die Terrassentür in Richtung Couchgarnitur. Wie viel Werner wohl verdient, überlegte sie.
„Ilona, ich weiß, dass du mit Werner nicht gut reden kannst. Aber dafür hast du ja mich, ob beim Kuchen essen oder beim Telefonieren. Bei Manfred wäre das gar nicht möglich, weil du dann weder Geld für den Kuchen noch für das Telefon hättest.“
„Du redest ja, als wollte ich mich scheiden lassen, ich mag Manfred einfach nur gern.“
Immer noch konnte Elisabeth kaum den Blick vom Sofa lassen. „Das wollte ich von dir hören“, sagte sie irgendwann. „Dass du dich nicht scheiden lassen willst oder so was“, wurde sie umgehend konkreter. „Ich dachte halt das Schlimmste, weil du neuerdings immer so abwesend bist. Anrufen tust du auch kaum noch.“
Stimmt, dachte Ilona. Seit sie studierte und mit Manfred an dem Referat und der Hausarbeit gearbeitet hatte, war ihr Elisabeth nicht mehr so wichtig. Dazu passte es, dass sie sich gerade fragte, wann Elisabeth wohl nach Hause gehen will. Die war aber noch nicht fertig.
„Sag' mal, die alte Couchgarnitur war doch erst fünfeinhalb Jahre alt...“
„Dass du das so genau weißt.“
Elisabeth merkte, dass das neue Sofa mit den zwei Sesseln ihr keine Ruhe lässt. „Tja, toll eure Couch. Da muss man wohl mal auf einen Urlaub verzichten.“
„Ach was. Wir fliegen diesmal sogar vier Wochen in den Süden. Werner mag ja die Hitze.
Elisabeth wusste nicht, wohin sie schauen sollte.
Nachdem sie sich bald darauf ohne viel weitere Worte verabschiedet hatte, blieb Ilona bis zum Eintreffen ihrer Kinder noch ein bisschen Ruhe, etwas, was sie im Moment gut gebrauchen konnte, denn sie hatte schon lange nicht mehr eine so aufregende Zeit erlebt wie in den letzten Wochen mit Manfred.
Jahrelang war sie auf ihre Aufgaben als Mutter und Ehefrau beschränkt gewesen. Hatte sie dabei die Fürsorge für ihren Sohn und ihre Tochter mit großer Freude ausgeführt, so wollte sie das für ihre Rolle als Gattin von Werner nicht behaupten. Sofern ihr Mann nicht arbeitete, was meistens nur den Sonntag betraf, beschränkte sich das gemeinsame Leben auf den Empfang oder den Besuch von Verwandten. Das betraf vor allem die
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