Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Manfred.
„Gratulieren werde ich dir aber erst, wenn sie auf dem Tisch liegen.“
„Schon übermorgen ist es soweit, er wird morgen seine Freundin allein im Geschäft arbeiten lassen und fleißig rumstreichen.“
„Hoffentlich nicht zu fleißig“, meinte der Professor.
„Ja, so gut war die Idee mit dem Filzstift gar nicht. Ich glaube, ich hätte die Akten auch so bekommen. Aber ich war mir im Vorfeld so sicher gewesen, dass ich ein Zugeständnis machen muss, dass ich nicht mehr schnell genug umschalten konnte.“
„Das Schwärzen ändert nicht unbedingt was.“
Manfred stutzte. „Wie meinst du das?“
„Wir leben im Jahr 1979, Manfred. Es gibt neuerdings eine chemische Methode, die Schwärzen rückgängig machen kann. Jedenfalls wenn es lediglich mit einem handelsüblichen Filzstift ausgeführt wird.“
„Irre.“
„Einmal mehr.“
*
Eine längere Unterhaltung gab es nicht, in der Nacht ihres Kennenlernens war alles gesagt worden, was gesagt werden musste. Der Abschied verlief kurz wie förmlich, einen Händedruck vermieden Klaus Wilkens und Manfred ebenso wie einen längeren Augenkontakt. Manfred hatte das mit diversen Fünfliterflaschen Wein, einem Zelt und einem Koffer bereits reichlich bepackte Auto abreisefertig in der Nähe des Marktplatzes geparkt, nah genug, um mit den zwei Kartons Akten vor der Brust schnell sein Gefährt zu erreichen, aber weit genug, um Klaus Wilkens keinen freien Blick auf sein verdächtig altes Auto zu ermöglichen.
Bei der kurzen Überprüfung der Quellen hatte Manfred einwandfrei deren Authentizität feststellen können. Alle Dokumente waren mit Abkürzungen, Dienststellenbezeichnungen und einem Schriftsatz versehen, die typisch für die Gestapo waren. Stets leuchtete ihm das Kürzel IV A 2 entgegen – das Kennzeichen der Abteilung zur Sabotagebekämpfung. Das Papier zeigte sich vergilbt, die Druckbuchstaben präsentierten die in der NS-Zeit gebräuchliche Schreibmaschinenschrift. Eine Vielzahl durchgestrichener Wörter zeigte, dass Klaus Wilkens in den letzten 36 Stunden die meiste Zeit über den Akten gesessen haben muss; selbst wenn er sie auswendig kannte, war viel zu tun gewesen.
So knapp und wortkarg die letzte Begegnung zwischen Klaus Wilkens und Manfred verlief, so herzlich gestaltete sich der Abschied von der liebevollen Besitzerin der Hotelpension Ambatti . Manfred versprach, auf jeden Fall wiederzukommen, auch wenn er wusste, dass das unwahrscheinlich ist. „Arrivederci“, rief er ihr donnernd zu, als er sie beim letzten Gang über den Marktplatz noch einmal sah, „Arrivederci“, schallte es nicht minder lautstark zurück. Schön, wenn man in der Fremdsprache, die man zu können glaubt, auch verstanden wird, griente Manfred und verschwand augenblicklich in seinem Auto.
Mitten in der Nacht kam er in Frankfurt an. Mit den Akten unterm Arm lief er den Hausflur hinauf, öffnete, lauter als er wollte, die Haustür und warf seine Eroberung mit Schwung auf seinen Schreibtisch. Conny wurde wach, stand auf, ging zu ihm ins Zimmer, machte ihm keinerlei Vorwürfe wegen des Krachs, sondern nahm ihn fest in die Arme. Dreizehn Jahre Zusammenleben verbindet; man muss kein Pärchen sein, um sich irgendwie zu lieben, dachte Manfred. Das erste Mal spürte er das Bedürfnis ihr das zu sagen – warum eigentlich, fragte er sich, wobei ihm auch schon gleich eine passende Antwort einfiel. Ich habe Angst vor den Akten, merkte er.
In dem Moment wusste er noch nicht, dass er allen Grund dazu hatte.
1979 II
„Kommt gut nach Hause, ihr drei!“
„Wir bemühen uns, Aaron. Fest steht, dass ich in der Mitte gehen muss.“
Eingehakt in die Arme von Conny und ihrer Freundin konnte Manfred seine Gleichgewichtsstörungen nur unzureichend ausgleichen, denn auch seine beiden Weggefährtinnen hatten infolge übermäßigen Alkoholkonsums erheblich mit ihrer Motorik zu kämpfen. So war es mehr ein Torkeln als ein Gehen, als die drei sich in gegenseitiger Unterstützung zum kurzen Weg vom Aarons „Eck“ in die Wohnung aufmachten.
Die Straßen des Frankfurter Altbauviertels waren leer; selbst in einer großen Stadt sind in der Nacht zu einem Mittwoch zuweilen die Bürgersteige hochgeklappt. Fleißig ihren Dienst verrichteten nur noch die Taxen, wobei sie konsequent jenseits der zulässigen Ortsgeschwindigkeit agierten. Die Straßenbäume raschelten in einem fort, ein sicheres Zeichen dafür, dass dem Szenequartier alsbald ein Gewitter bevorstand. Aus einem
Weitere Kostenlose Bücher