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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Gohlke
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ernst werden lassen. Fürsorglich griff sie kurz nach Manfreds Hand.
    „Du siehst schlecht aus, mein Lieber.“
    „Ja, und jetzt ist es soweit, dass du dir das Elend anschauen darfst. Eigentlich wollte ich erst am Wochenende mit dir reden.“
    Manfred und Conny hatten gleich am Beginn ihres WG-Lebens die Übereinkunft getroffen, dass man sich ohne Nachfragen in Ruhe lässt, wenn eine Seite sich zurückzog. Die letzten Tage war Conny das aber immer schwerer gefallen. Die ganzen Nächte hatte sie Licht in seinem Zimmer brennen sehen, nur selten bekam sie ihn zu Gesicht, und wenn doch, dann sprach er kein Wort. Manfred trank literweise Kaffee und Tee, ab und zu aß er ein Brot, anderes nahm er kaum zu sich. Sein Äußeres vernachlässigte er komplett, Conny hatte nie die Dusche gehört. Drei Wochen ging das schon so, wobei Conny die ersten acht Tage nicht mitbekommen hatte, denn gleich am Tag nach dem langen Abend im „Eck“ war sie mit ihrer Freundin in den Urlaub gefahren.
    „Ich hätte dich frühzeitig einweihen müssen, wenn du die erste Woche hier gewesen wärst. Ich hätte es nicht verheimlichen können.“
    „Wieso?“
    „Mir ging es schlecht. Das war schon ziemlich dramatisch. Ich wusste nicht ein noch aus. Zwei Tage ging mir das immer mal wieder so. Ein innerer Ausnahmezustand.“
    „Der gehört zu einem reichen Leben dazu.“ Sofort fand Conny ihre Äußerung neunmalklug und ärgerte sich.
    „Zuletzt hatte ich so etwas in meiner Grundschulzeit erlebt.“
    Manfred nahm ein Schluck aus seinem Becher. Er sprach langsam. „Ich hatte mit diesen Gefühlen zu tun, die man glaubt, nicht aushalten zu können. Irgendwann war das wieder vorbei und ich konnte überlegen, was zu tun ist.“ Manfred schloss die Augen.
    „Was ist passiert, Manfred?“
    Es dauerte etwas bis Manfred antwortete. „Der Reihe nach, Conny.“
     
    *
     
    „Geheime Staatspolizei, Sonder-Dienststelle MERTENS, Neuenkirchburg, Abteilung IV A 2“, war die Adressenangabe, von dem keine der 423 Dokumente frei geblieben und die stets am oberen linken Rand mit einem Stempel in altdeutscher Schrift eingesetzt worden war. In gleicher Höhe der Adresszeile standen am rechten Seitenrand die Wörter „Ort und Datum“, über denen vorgedruckte Punkte vorschrieben, an welcher Stelle ein entsprechender Stempel zu platzieren ist.
    Schon diese beiden Einträge an den oberen Seitenrändern erhielten Manfreds Aufmerksamkeit. Sie bestärkten ihn in seiner schon nach der Lektüre der ersten beiden Quellen aufkommenden Überzeugung, dass eine Aktensichtung unter ausgewählten Fragestellungen vielleicht für die Anforderungen an eine Diplomarbeit genügte, aber ihn selbst nie und nimmer zufrieden stellen könnte. Dazu war er nach allem, was er bisher zum Fall der Keller-Gestapo erlebt hatte, viel zu neugierig geworden.
    Manfred war somit entschlossen, das Unmögliche möglich zu machen und die Akten in Gänze durchzuarbeiten. Der Anspruch erforderte eine Reihe von sogenannten quantitativen Untersuchungen, angefangen bei den scheinbar harmlosen Adressen- und Datumsangaben.
    Die Feststellung, dass in allen 423 Dokumenten mit „Sonder-Dienststelle MERTENS, Neuenkirchburg“ immerzu derselbe Adressat aufgeführt war, ließ Manfred hellwach werden, als er den Umkehrschluss dieser Beobachtung bedachte: Es gab ausschließlich Akten, die von der Keller-Gestapo selbst verfasst worden waren – es gab keinen Brief, keinen Befehl von den vorgesetzten Stellen, jedenfalls konnte Manfred in seinem Aktenbestand nichts darüber finden. War die Keller-Gestapo in der Endphase des Krieges auf sich allein gestellt? Konnte sie machen, was sie wollte?
    Und stand eine solche Frage mit der Beobachtung in Verbindung, dass die meisten Akten auf die beiden letzten Monaten der Keller-Gestapo datiert waren? Am 23. September 1944 hatte die Berliner Gestapo-Zentrale umgehend Maßnahmen gegen die Sabotageaktionen bei MERTENS gefordert. Acht Tage später nahm die Keller-Gestapo ihren Dienst auf – die erste Akte war auf den 1. Oktober 1944 datiert. In den folgenden Wochen produzierten Klaus Wilkens und seine Männer relativ wenig Schrifterzeugnisse. Erst Ende Januar 1945 ging die Zahl nach oben. In dem Zeitraum zwischen dem 2. Februar und dem 2. April 1945 wurden dann genau 300 Akten, also fast drei Viertel des Gesamtbestandes, geschrieben.
    Nur ab und zu hatte Klaus Wilkens von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Personennamen zu schwärzen. Manfred schätzte, dass einschließlich

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