Wo die Hoffnung blüht - [Roman]: Wo die Hoffnung blueht
echte Clara hinter der Fassade. Sie hatte eine raue Schale, so viel stand fest, sie setzte gern ihren Kopf durch, und sie war halsstarrig. Aber die raue Schale diente dazu, den weichen Kern in ihr zu schützen, und sie war genau wie jede andere gute Mutter, bereit, für ihre Kinder zu kämpfen und alles daranzusetzen, um sie vor möglichem Schaden zu bewahren. Und als solchen hatte sie ihn in der Vergangenheit angesehen.
»Vielen Dank, ich weiß Ihr Angebot sehr zu schätzen«, flüsterte er und riss sich zusammen. »Ich werde schon zurechtkommen, das war nur ein kurzer Ausrutscher. Aber ich werde jetzt nach Hause gehen. Ich fühle mich Fifi näher, wenn ich all ihre Sachen um mich herum habe.«
Sie begleiteten ihn ins Foyer des Hotels, und Clara umarmte ihn abermals und küsste ihn auf die Wange. »Versuchen Sie zu schlafen«, riet sie liebevoll. »Man kann nie wissen, vielleicht hat die Polizei morgen Früh ja gute Neuigkeiten.«
Auch Harry umarmte Dan. »Wir werden morgen rüberkommen und gemeinsam zum Revier gehen«, sagte er. »Möchten Sie, dass ich Sie später zu Ihrer Arbeit begleite? Sie müssen wirklich mit Ihrem Chef reden; Sie wollen doch nicht zusätzlich zu allem anderen auch noch Ihren Job verlieren.«
Dan nickte. Er hatte sich seit Donnerstag nicht mehr bei seiner Firma gemeldet, und das musste er unbedingt nachholen, auch wenn sein Job ihm im Augenblick unwichtig erschien. »Das wäre schön«, antwortete er und versuchte zu lächeln. »Schlafen Sie gut, und machen Sie sich keine Sorgen um mich, ich komme schon klar.«
»Das arme Lämmchen«, meinte Clara nachdenklich, während sie Dan nachschauten, der zur U-Bahn-Haltestelle hinunterging. »Mittlerweile begreife ich, warum Fifi sich in ihn verliebt hat; er ist keineswegs der dreiste, auf seinen Vorteil bedachte Ganove, für den ich ihn gehalten habe.«
Harry legte seiner Frau einen Arm um die Schultern und schob sie sanft zurück ins Hotel. »Ich bin stolz darauf, ihn als Schwiegersohn zu haben«, antwortete er mit rauer Stimme. »Er ist aus einem guten Holz geschnitzt.«
Fifi war starr vor Schreck über das, was Yvette gerade gesagt hatte.
Es war zu dunkel, um ihr Gesicht zu sehen; sie war lediglich eine dunkle Gestalt auf der Matratze, und nur das Weiß ihrer Zähne und der Kragen ihrer hellen Bluse schimmerten schwach.
»Du kannst Angela nicht getötet haben«, stieß Fifi hervor. »Sei nicht dumm.«
»Ich ’abe es getan«, beharrte Yvette.
»Aber warum?«
»Es war – wie sagt ihr Engländer noch gleich? Das kleinere Übel?«
»Das verstehe ich nicht. Und ich glaube dir auch nicht; du könntest niemanden töten, erst recht kein Kind«, entgegnete Fifi entrüstet. »Und was meinst du mit dem ›kleineren Übel‹?«
Von der Französin kam ein tiefer Seufzer, als versuchte sie, ihre Gedanken zu sammeln. »Manchmal muss man zwischen zwei schlechten Dingen wählen. Wenn man zum Beispiel die Entscheidung treffen muss, ob man ein sehr krankes Tier be’andeln und vielleicht weiter leiden lassen oder es einschläfern soll. Mama musste sich entscheiden, ob sie mich fortschicken oder bei sich be’alten wollte, und dann wären wir vielleicht beide in ein Lager gekommen. In solchen Zeiten versuchen wir, uns für das kleinere von zwei Übeln zu entscheiden.«
Plötzlich stand Fifi ein lebhaftes Bild von Angela vor Augen, wie sie nackt und mit Blut auf den gespreizten Oberschenkeln auf dem Bett lag. Ebenso deutlich stand ihr die junge Yvette vor Augen, die in einem Bordell in Paris vergewaltigt wurde.
»Dann dachtest du also, Angela würde auf dieselbe Weise missbraucht werden wie du?« Sie spürte eine leichte Bewegung, als hätte Yvette genickt. »Also schön, erzähl mir, was an diesem Morgen geschehen ist, von Anfang an.«
»Es ’at am Abend zuvor begonnen«, berichtete Yvette zögernd. »Ich ’öre diese Männer ankommen. Es ist ’eiß, die Fenster ste’en offen. Ich ’öre alles, als wäre ich im selben Raum.«
»Komm, legen wir uns hin«, sagte Fifi sanft. »Es ist zu kalt, um ohne Decke hier zu sitzen.«
Sie legte sich nieder, und als Yvette sich an sie schmiegte, zog sie die Decke über sie beide. Fifi wartete geduldig ab, denn sie wollte Yvette nicht zur Eile drängen. Der Atem der Französin ging in gequälten Stößen; Fifi wusste nicht, ob der Grund dafür die Ungeheuerlichkeit dessen war, was sie soeben gestanden hatte, oder ein Symptom ihres geschwächten Zustands. Eigentlich müsste ich Angst haben, ging es ihr kurz
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