Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo die Liebe beginnt

Wo die Liebe beginnt

Titel: Wo die Liebe beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Giffin
Vom Netzwerk:
wenn nicht gar gelogen ist.
    Sie schluckt, und wir sehen uns an und dann gleichzeitig wieder weg.
    Â»Okay, ich mache dir einen Vorschlag.« Ich konzentriere mich auf ein goldenes Pünktchen in der Marmorplatte. »Erst stelle ich dir eine Frage, dann bist du dran. Wir wechseln uns ab. Alle Themen sind erlaubt.«
    Sie nickt, und da wird mir klar, dass ich mich in eine gefährliche Lage gebracht habe. Was sage ich ihr, wenn sie nach ihm fragt? Die Wahrheit natürlich, aber die hat so viele Facetten und Abstufungen, dass es die reine Wahrheit praktisch nicht gibt. Jedenfalls nicht in meinem Leben, und vielleicht auch in keinem anderen.
    Â»Also, mal sehen … Hast du Geschwister?«
    Â»Eine Schwester«, antwortet sie und erzählt mir, dass ihre Eltern erst dachten, sie könnten keine Kinder kriegen, es dann aber gleich nach ihrer Adoption doch noch klappte. »Sie heißt Charlotte. Sie war das Wunder«, bemerkt Kirby ausdruckslos.
    Â»Steht ihr euch nah?«
    Sie zuckt mit den Schultern. »Ja. Charlotte ist cool. Echt lieb. Und sie kann unheimlich gut schwimmen, sie hält den Stadtrekord im Delfin-Stil. Wahrscheinlich könnte sie mal bei Olympia mitmachen.« Dann rollt sie verräterisch mit den Augen und fügt hinzu: »Alle lieben sie.«
    Â»Klingt ja toll. Aber vielleicht ist sie ein bisschen zu perfekt?«
    Â»Könnte man so sagen.«
    Ich lächele, aber sie verzieht keine Miene.
    Â»Du bist dran«, sage ich.
    Sie beißt sich auf die Unterlippe und gibt meine Frage einfach zurück. Ob ich Geschwister habe?
    Â»Nein, ich bin Einzelkind. Meine Eltern reisen gerne und dachten, mit nur einem Kind wäre das leichter.« Plötzlich klingt die Erklärung, die ich immer akzeptiert habe, vollkommen lächerlich.
    Sie nickt und flüstert: »Du bist dran.«
    Ich hebe den Blick und betrachte die chromglänzenden Hängelampen über der Kücheninsel. Ich denke daran, dass Peter letzte Woche die Glühbirnen ausgewechselt hat. Mehr handwerkliches Talent hat er nicht. »Hast du einen Freund?«, frage ich und hoffe auf ein Nein.
    Sie schüttelt den Kopf. »Nein. Und du?«
    Ich nicke und denke an meine Unterhaltung mit Peter. Mir kommt es so vor, als wäre sie schon zwei Wochen her anstatt erst zwei Stunden. »Ja. Wir sind schon ein paar Jahre zusammen.« Mehr sage ich nicht, das reicht für den Moment. Dann schlucke ich und frage sie nach ihrem Lieblingsfach in der Schule.
    Â»Ich hab keins«, erwidert sie.
    Â»Aha«, sage ich und warte auf ihre Frage.
    Â»Okay. Das ist vielleicht unhöflich, aber wie alt bist du?«
    Ich lächele und erwidere: »Das ist noch vier Jahre lang nicht unhöflich. Ich bin sechsunddreißig.«
    Ich sehe, wie es in ihrem Kopf rattert und nehme die Antwort vorweg. »Ich habe dich mit achtzehn bekommen. So alt, wie du jetzt bist.«
    Sie atmet heftig ein. »Oh«, ruft sie und schaut wieder weg. Ich studiere ihr Profil und bemerke, dass sie – bei aller Ähnlichkeit – ein schöneres Kinn hat als ich, kräftiger, aber immer noch feminin. Auch ihre Wangenknochen treten stärker hervor, ich weiß, wo sie das herhat. Jetzt denke ich wieder an ihn, die Bilder überfluten mich, und ich frage mich, wann sie auf ihn zu sprechen kommt. Ich spüre auch den Drang zu gähnen und versuche ihn zu unterdrücken, schaffe es aber nicht. Sie gähnt auch, und mir kommt der Gedanke, dass Schlaf die biologische Antwort auf Stress und Schmerz ist – und beides spüre ich gerade.
    Â»Ich sollte jetzt gehen«, bemerkt sie, und ich entdecke dunkle, bläuliche Schatten unter ihren Augen. »Ich weiß, dass es schon spät ist.«
    Ich bin enttäuscht, aber die Erleichterung, dass sie nicht bleibt, ist stärker. Dass sein Name nicht gefallen ist und vielleicht nie ausgesprochen wird. Vielleicht muss ich ihr nie von den schmerzhaften Erinnerungen erzählen, die ich seit achtzehn Jahren zu verdrängen versuche.
    Sie macht Anstalten aufzustehen.
    Â»Wo gehst du jetzt hin?«, frage ich und erwarte die Antwort, dass sie eine Freundin oder Verwandte in der Stadt hat.
    Sie zieht einen zerknüllten Zettel aus der Gesäßtasche und liest den Namen einer Jugendherberge in der Nähe von Chinatown ab. Da überkommen mich riesige Schuldgefühle, und ich schüttele den Kopf. »Das kommt gar nicht infrage. Du bleibst hier.«
    Sie öffnet den Mund,

Weitere Kostenlose Bücher