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Wo die Toten ruhen - Psychothriller

Titel: Wo die Toten ruhen - Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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der Welt sie sich in ihrem Zustand aus dem Haus hatte schleppen können. Er machte sich daran, Küche und Wohnzimmer aufzuräumen, stellte die Gläser in die Spüle und suchte eine Papiertüte, um die Scherben des Weinglases darin einzusammeln.
    Er fand ein Stück Brot, das er sich toastete, wischte die Krümel auf, goss verdorbene Milch weg und wusch den Kühlschrank sauber, der ebenfalls einen verwahrlosten Eindruck machte. Er sah auf die Uhr und versuchte abzuschätzen, wann ihr Schichtdienst zu Ende sein konnte. Er wusste, dass sie ständig um die Schichten rangelten; manchmal beklagte sie sich darüber. Er war gegen zehn hier gewesen. Montags arbeitete sie von sechs bis elf.
    Er holte sein Handy hervor und rief im Supermarkt an. Glenn, ein Kollege, bestätigte, Esmé sei für diese Schicht eingetragen. Er habe sie noch nicht gesehen, doch das hieße nichts, denn er sei eben erst gekommen. Ob er sie suchen und ans Telefon holen solle? Ray bedankte sich und legte auf, denn er musste zuerst überlegen, was er ihr genau sagen wollte.
    Er stützte sich mit den Händen auf der alten Resopalarbeitsfläche ab und dachte über Esmés sture Weigerung nach, das Haus renovieren zu lassen. Es sah immer noch so aus wie zu der Zeit, als sie dort eingezogen waren, und damals war er zwölf gewesen. Die hintere Wand des Wohnzimmers hatte sie mauve gestrichen, und so war sie geblieben. Der goldbraune Teppichboden hatte sich nur insofern verändert, als Esmé dazu neigte, fleckige oder schadhafte Stellen mit anderen kleinen
Teppichen zu kaschieren . Und selbst die modernen dänischen Möbel, die ihr gefielen, weil sie hell waren und leicht umzustellen, blieben fast genau an demselben Platz, an dem sie schon gestanden hatten, als Ray an dem selben abgerundeten Couchtisch mit in Holz gefasster Glasplatte vor Jahren Schach spielen gelernt hatte.
    Er saß einige Minuten reglos da. Seine Gedanken wanderten - wie ein Maulwurf, der sich nach oben gräbt - von den alten Häusern zu den Kassetten, zu der Stimme auf den Bändern, zu dem Modell des Hauses in der Bright Street, das unvollendet in seiner Werkstatt stand.
    Und es traf ihn wie ein Schlag: Ich werde es nie schaffen, nie werde ich eines richtig rekonstruieren. Die rostroten Flecken auf dem T-Shirt schienen sich im Kofferraum auszubreiten, durch einen Spalt hinauszusickern - die Auffahrt hinauf bis in Esmés Haus hinein und mitten in sein Herz.
    So durfte es nicht weitergehen, so würde er heute sicher nichts mehr erledigen können, und er hatte einiges vor, er war entschlossen weiterzumachen, zumindest vorerst. Er musste sich mit etwas beschäftigen, während er auf seine Mutter wartete.
    Schließlich fielen ihm die alten Fotoalben wieder ein. Wo sie sie wohl aufbewahrte? In einem hohen Bücherregal befanden sich stapelweise Zeitschriften und Reader’s-Digest-Bände, ihre Lieblingslektüre. Er durchstöberte das Haus, etwas, das er hier nie tat. Esmé legte Wert auf ihre Privatsphäre, mehr noch, sie bestand darauf, und er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal ihr Schlafzimmer betreten hatte, doch er erinnerte sich an einen Schrank mit Glastüren. Vielleicht bewahrte sie die Alben dort auf? Früher, in anderen Häusern, hatte sie sie in ihrem Schlafzimmer aufgehoben.
    In dem abgedunkelten Raum konnte er fast nichts erkennen.
Die Vorhänge waren zugezogen. Er schaltete das Licht an und sah, dass weitgehend alles so aussah wie damals. Nur neues Bettzeug hatte sie, in Rosa-, Schwarz- und Beigetönen, passend zu den Wänden und den neuen Vorhängen. Das Bett war nicht gemacht.
    Der Anblick war ihm unbehaglich, und er warf die Steppdecke über die schmutzigen Laken. Im Bücherschrank stand ein wenig anspruchsvollere Lektüre, Bücher, die seiner Mutter in langen wachen Nächten wahrscheinlich zum Einschlafen verhalfen. Doch auch hier waren keine Alben. Er wurde von jener Stimmung erfasst, die ihn schon in den Häusern überkam, in die er eingedrungen war. Dieser alte Parfümzerstäuber, Chanel No. 5, sie benutzte ihn nie, und doch stand er, so lange er zurückdenken konnte, immer auf ihrer Frisierkommode.
    Die Schranktür stand offen, auf der obersten Ablage standen sechs große, reichlich verzierte Schachteln nebeneinander in einer Reihe. Er nahm eine herunter, stellte sie auf dem Bett ab und öffnete sie: Schals und Gürtel, ordentlich zusammengerollt. In der nächsten waren Steuerbescheide, etikettiert und mit Gummibändern versehen. Mit der dritten Schachtel hatte er

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