Wo die Wahrheit ruht

aus.”
    Matt notierte den Hinweis. “Schadet nichts, wenn ich ihr mal einen Besuch abstatte, aber ich würde nicht allzu große Hoffnungen auf diese beiden Möglichkeiten setzen”, warnte Matt. “Keiner der beiden hat ein Motiv, das stark genug für einen Mord wäre.”
    “Deshalb bin ich ja auch der einzig ernsthafte Verdächtige. Bei mir findet sich alles – Motiv, Gelegenheit und Belastungsmaterial.”
    Matt versuchte, seinen Optimismus nicht zu verlieren. Seinem Vater jetzt zu erklären, wie hoffnungslos die ganze Situation aussah, das war das Letzte, was sein Vater brauchen konnte. Doch Fakt war, dass der Mörder, zumindest auf den ersten Blick, das perfekte Verbrechen begangen hatte.
    “Gestern Abend ist jedoch etwas Seltsames passiert”, fügte Fred nachdenklich hinzu.
    Matt horchte auf. “Schieß los.”
    “Du hast es vielleicht noch nicht gehört, aber Steven hat die Galerie seiner Exverlobten, einer Kuratorin an einem Bostoner Museum, vermacht. Sie ist gestern Abend in der Stadt angekommen, vermutlich um das Geschäft zu übernehmen, und hat dabei einen Einbrecher in der Galerie überrascht. Törichterweise hat sie versucht, ihn aufzuhalten, und dabei einiges einstecken müssen. Sie verbrachte die letzte Nacht im Krankenhaus und ist heute Morgen entlassen worden. Sie heißt Grace McKenzie. Vor ungefähr zehn Jahren war sie mit Steven verlobt und offensichtlich sind sie Freunde geblieben.”
    “Ist etwas aus der Galerie gestohlen worden?”
    “Das kann die Polizei noch nicht sagen. Ein paar Gemälde wurden zu Boden geworfen, aber der Rest des Ladens blieb unangetastet. Josh hat daher Vandalismus ausgeschlossen.”
    “Für mich klingt das, als hätte der Einbrecher nach einem bestimmten Bild gesucht.”
    “Möglich. Nach einer kleinen Inventur wird dir Miss McKenzie sicher sagen können, was fehlt.”
    “Dieser Einbruch könnte wichtig sein, Pop. Geht Josh dem Fall nach?”
    “Das muss er. Die Neuigkeit hat sich herumgesprochen, und einige Leute in der Stadt verlangen nun, dass im Mordfall Steven noch mal in neue Richtungen ermittelt wird.”
    “Was ist diese Grace McKenzie für ein Typ? Weißt du das?”
    “Rob meint, sie sei hübsch, forsch, clever und mutig. Nicht viele Frauen hätten versucht, mitten in der Nacht einen Einbrecher zu stoppen.” Er schmunzelte. “Wie ich gehört habe, kann sie böse zutreten.”
    “Hat sie den Kerl verletzt?”
    “Und ob. Sie hat ihm die Absätze ihrer Stiefel in die Eier gerammt.”
    “Autsch!”
    “Das habe ich auch gedacht. Josh war beeindruckt – und wie du weißt, kommt das eher selten vor.”
    Matt lächelte. “Dafür, dass du hinter Gittern sitzt, bist du ganz schön gut informiert.”
    “Mein ehemaliger Stellvertreter hält mich auf dem Laufenden”, erwiderte Fred nicht ohne Stolz.
    “Ist das Josh denn recht?”
    “Zum Teufel, nein, aber wen kümmert das schon?”

8. KAPITEL
    “S arah, bitte.” Grace wechselte ihr Mobiltelefon ans linke Ohr, als sie an einer Ampel hielt. “Es gibt keinen Grund, warum Sie nach New Hope kommen sollten. Machen Sie sich um die Galerie keine Sorgen. Ich würde Ihnen zwar gerne verkünden, dass nichts gestohlen wurde, aber ich muss gestehen, ich bin noch nicht dazu gekommen, das Inventar zu überprüfen. Sobald ich jedoch damit durch bin …”
    “Um Himmels willen, Grace. Es geht mir doch nicht um das Inventar. Der Polizeichef hat mir berichtet, dass Sie eine Gehirnerschütterung haben. Deshalb rufe ich an. Ich mache mir Sorgen um Sie.”
    Tat sie das? Tatsächlich? “Der Arzt hat mich ohne Bedenken aus dem Krankenhaus entlassen.” Die Ampel sprang auf Grün. “Ich muss weiter, Sarah. Ich telefoniere nicht gerne beim Autofahren. Können wir unser Gespräch ein anderes Mal fortsetzen?”
    “Sie können mich jederzeit erreichen.”
    Nachdem sie sich verabschiedet hatte, klappte Grace ihr Telefon zu und ließ es auf den Beifahrersitz fallen. Die vergangenen Jahre hatten Sarah offenkundig milde gestimmt, oder aber Stevens Tod hatte sie verändert. Trauer hatte manchmal eine solche Wirkung auf Menschen. Grace nahm sich vor, sie am Abend anzurufen, nicht, weil sie plötzlich das Bedürfnis verspürte, mit der Frau zu sprechen, sondern weil sie ihr leidtat. Trotz ihres Reichtums, ihres bunten gesellschaftlichen Lebens und all ihrer Bediensteten war Sarah eine sehr einsame Frau.
    Grace ließ die Stadtgrenze hinter sich und folgte der North River Road, einer engen, kurvenreichen Straße, die mitten ins Herz